Rucksacktouristen gehen fremd

Mit individuellen Angeboten waren alternative Reisebüros lange gut im Geschäft. Doch die klassische Klientel bricht weg oder bucht den Billigflieger gleich im Internet. Darum verkaufen auch die Alternativen immer mehr Pauschalreisen

Wer bei Hagen Hoffman anruft, merkt schnell, dass er im alternativen Milieu gelandet ist. Er meldet sich, wie sich ein bürgerlicher Chef nie melden würde: einfach mit dem Vornamen. Hoffmann, der 1990 den alternativen „Reiseladen Durchblick“ gründete, hatte einmal zehn Mitarbeiter, die in drei Läden Busreisen für junge Leute mit schmalem Budget organisierten. „Die klassische Schiene“, erinnert sich der Reisebüro-Chef: „Mit dem Billigbus in Selbstversorgerhäuser nach Frankreich oder Italien.“

Jetzt, da sich die Leute lieber in Billigflieger quetschen, sitzt Hoffmann nur noch mit einer Auszubildenden in seinem Gründungsbüro in der Hufelandstraße. Die beiden anderen Filialen gibt es nicht mehr, die Mitarbeiter auch nicht.

Die Zahl der alternativen Reisebüros in Berlin hat abgenommen – genauso wie ihre Unterschiede zum klassischen Reisebüro, das vor allem Pauschalreisen verkauft. Die Umbrüche, die den Markt erschüttern, machen auch vor den Idealisten der Branche nicht Halt. Genaue Zahlen existieren nicht. Aber die Stimmung ist eindeutig.

Filialen machen dicht

Den Rückgang merkt auch Martin Schmidt-Hussinger, Geschäftsführer von Passat Reisen. Von ehemals fünf Filialen existieren nur noch drei. In Moabit und im Wedding waren die alternativen Reisepakete und Individualreisen, von denen das Büro lebte, nicht mehr gefragt. Die Verarmung der Bezirke sei schuld, sagt der Geschäftsführer. In der Kreuzberger Zentrale würden die Geschäfte besser laufen. Hier kämen noch die gleichen Kunden wie früher: „Rechtsanwälte, Studienräte, Akademiker der 68er-Generation“, umreißt Schmidt-Hussinger sein treues Klientel.

Die Alternativen mussten ihre Zielgruppe aber schweren Herzens erweitern. Die Konkurrenz aus dem Internet zwingt sie dazu, sich auch auf die surfenden Schnäppchenjäger einzuschießen und Billigangebote aufzunehmen. „Klar gehen uns durch Internet-Anbieter Umsätze verloren“, sagt Schmidt-Hussinger. Er kann dem Trend aber auch etwas Positives abgewinnen. „Wir haben den Vorteil, dass wir sehr früh im Internet präsent waren.“ Das rechne sich heute. „Etwa 15 Prozent unseres Umsatzes erzielen wir über unsere Webseite.“

Hagen Hoffmann freut sich unterdessen, dass die Bucherei im Netz noch ihre Tücken hat. Es gebe nämlich Kunden, die im Internet fremd gehen, und dann doch wieder bei ihm im Reisebüro landen. Zu viel gehe noch schief im neuen Reisemedium. „Man klickt schnell irgendwas an, ohne zu wissen, was man eigentlich bucht. Es gibt ja keine vernünftige Beratung im Internet.“

Im Sortiment der alternativen Reisebüros haben sich auch die früher so verpönten Pauschalreisen längst etabliert. „Wir brauchen die „Pauschis‘, um Geld zu verdienen“, sagt Hagen Hoffmann vom „Reiseladen Durchblick“. Überhaupt bieten die Alternativen mittlerweile im Prinzip das volle Programm, also auch Billigflieger. Nur verdienen die Läden daran kaum etwas. Fast alle Airlines haben ihre Provisionen gesenkt oder gleich ganz gestrichen.

„Blutiges Geschäft“

So bringt Hagen Hoffmann am Ende des Gesprächs die Situation der Berliner Reisebüros auf eine drastische Formel: „Mit einem Wort: Scheiße! Die Kaufkraft ist weg, die Stimmung ist mies“, resümiert er. „Reisen ist schon ein blutiges Geschäft.“

Torsten Gellner