Die Rentner plagt das Fernweh

Nach Jahren der Umsatzeinbrüche boomt die Reisebranche. Viele Reisebüros kämpfen aber weiter ums Überleben, weil Kunden im Internet buchen. Die Rettung sollen reisefreudige Senioren bringen

Von Torsten Gellner

„Fünf Millionen Arbeitslose, das sind fünf Millionen Kunden, die uns fehlen.“ Wenn Peter Krawczack an den Arbeitsmarkt denkt, sieht er vor allem die vielen verhinderten Kunden. Krawczack leitet in Berlin das Travel & Touristik Lufthansa City Center. Als er sein Reisebüro 1990 gründete, brummte die Branche noch. Dann kamen die „Schüttelfrosteinlagen“, wie Krawczack die Umsatzeinbrüche des Reisemarkts nennt. „Terrorismus, Krieg, Sars, Tsunami, Kerosinpreise, sinkende Provisionen“ – die Liste der Plagen, die der Reisebürochef aufzählt, ist lang. Langsam gehe es jetzt wieder aufwärts, glaubt er. In die kommende Saison blickt er „leicht optimistisch“.

Tatsächlich geht es der Reisebranche nach der mittelschweren Krise, die mit den Terroranschlägen vom 11. September ihren Anfang nahm, wieder besser. Stolz stellte Klaus Laepple, Präsident des Deutschen Reiseverbands, auf der am Mittwoch eröffneten Internationalen Tourismusbörse (ITB) die jüngsten Zahlen seiner Branche vor. Die Reiseveranstalter steigerten 2005 bundesweit ihren Umsatz um fünf Prozent auf 19,4 Milliarden Euro und schlossen damit wieder an das Spitzenjahr 2001 an. „Die Reisebranche wächst stärker als die Wirtschaft insgesamt“, freute sich Laepple.

Die Reisebüros haben allerdings weniger Grund zur Freude. Sie profitieren kaum von boomenden Billigfliegern und dem expandierenden Internetmarkt. Über 1.000 Läden mussten im vergangenen Jahr in Deutschland schließen. „Mit einfachen Reisen oder Ticketverkäufen kann man einfach nichts mehr verdienen“, sagt Ursula Luchner-Brock von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. „Das Internet entwickelt sich auf diesem Sektor zunehmend zur Konkurrenz.“ In Berlin jedoch sei die Zahl der Büros relativ stabil geblieben. „Das hängt mit der Internationalität der Stadt zusammen“, meint die Tourismusexpertin. „Den Schließungen stehen in Berlin Neugründungen etwa von türkischen, russischen oder polnischen Unternehmen gegenüber.“ Die hätten sich auf das migrantische Publikum spezialisiert und böten Reisen in die alte Heimat an.

Peter Krawczack glaubt, dass das Reisebürosterben weitergehen wird. „Wer seinen Kunden keine adäquate Technik und keine vernünftige Beratung bieten kann, fliegt raus.“ Das bestätigt Christoph von Haehling, Leiter des Willy-Scharnow-Instituts für Tourismus an der Freien Universität Berlin: „Nur wer sich um seine Kunden intensiv kümmert, wird im harten Wettbewerb bestehen.“

Der Tourismusprofessor hat in zwei Studien untersucht, wo die Deutschen am liebsten buchen. Sein Fazit: Noch immer ist das reale Reisebüro die Anlaufstelle Nummer eins – wegen der persönlichen Beratung und der besseren Möglichkeiten zum Preisvergleich. Bei einfachen Reisen sei die Tendenz zur Internetbuchung aber deutlich. „Je länger und aufwändiger die Reise, desto eher wird im Laden gebucht“, sagt von Haehling.

Der Professor hat aber auch tröstende Worte für die bedrohte Spezies Reisebüro. „Die Gruppe ‚50 plus‘ wächst, ist relativ finanzkräftig und viel reiselustiger als früher“, sagt er. „Die Reisebüros müssen sich auf diese Klientel und deren Bedürfnis nach individueller Beratung einstellen.“ So sei die Krise durchaus auch eine Chance.