Pakete, Pakete, Pakete

ORTSTERMIN In einem Hotel in Berlin beraten internationale Spezialisten derzeit über neue Internetprotokolle weltweit. Für den NSA-Skandal hat hier kaum jemand ein Ohr

„Die Leute hier sind so auf Technologie fokussiert, da bleibt für Datenschutz kein Platz“

IETF-KONFERENZTEILNEHMER

AUS BERLIN JENS TWIEHAUS

Auf den langen Fluren des InterContinental-Hotels in Berlin schluckt schwerer Teppichboden jedes Geräusch. Die Hallen im Erdgeschoss sind dunkel und so verdammt unpersönlich, dass jeder Reisende schnell vergisst, ob er in Boston, Bangkok oder eben Berlin gelandet ist. In diesem wenig spektakulären Umfeld stechen immerhin die Menschen heraus: 1.500 sind aus aller Welt in dieses Kleinod der Herbergsarchitektur geströmt, um noch bis Freitag hier das Internet zu normieren.

IETF 87 nennt sich die Konferenz, bei der InformatikerInnen über neue Internetprotokolle beraten, und wie wohl meistens auf solchen Veranstaltungen lässt sich die Zahl der Frauen an einer Hand abzählen. Bärtige Mittfünfziger in beigen Hemden sitzen neben langhaarigen Geeks in kurzen Hosen und chinesischen Studenten, die aussehen wie 14, aber sicher schon ein halbes Dutzend Programmiersprachen im Schlaf können.

Ihr Biotop ist das Internet und ihre gemeinsame Aufgabe bei diesem Treffen, technische Standards der digitalen Kommunikation zu schaffen. Spätestens seit ein 30 Jahre alter Systemadministrator namens Edward Snowden enthüllte, wie umfassend Geheimdienste diese Kommunikation ausspionieren, gibt es nun einige Gründe, deren Freiheit in Gefahr zu sehen. Aber stattdessen steht Christopher aus London am Snackbuffet in einer dieser kargen Hotelhallen, streckt seinen Kugelbauch heraus und sagt durch fingerdicke Brillengläser schauend: „Die Leute hier sind so sehr auf die Technologie fokussiert – da bleibt für Datenschutz kein Platz mehr.“

Ein simpler Satz, der nichts anderes heißt als: Macht ihr das mit eurem Datenschutz, wir schreiben hier nur ein paar Standards fest. Hans Peter Dittler versucht es, angesprochen auf die Datenschutzdiskussion in der Öffentlichkeit, etwas diplomatischer zu formulieren: „Ich will nicht sagen, dass das hier kein Thema ist …“, fängt er einen Satz an und ist dann doch ganz erleichtert, als eine Kollegin ihm ein „Hi Hans Peter!“ entgegenflötet, was eine Chance zum Themenwechsel bietet.

Dittler ist so eine Art Urgestein der Internetstandardisierer. Er leitet die deutsche Sektion der Internetsociety, wobei er in seinem Karlsruher Dialekt immer nur vom „Indanet“ spricht. Der Verein setzt sich weltweit für die Entwicklung offener Online-Kommunikation ein. Und Dittler, dem die langen grauen Haare noch weit über die Schultern hängen, sagt mit wippendem Zauselbart dann doch noch einen Satz zum Datenschutz: „Ich hoffe, dass die derzeitige Diskussion die Leute wachrüttelt.“ Es sei schließlich simpel, seine Mails zu verschlüsseln. Viele fänden das jetzt erst heraus.

Und dann hat er noch eine Erklärung parat, warum Prism und die NSA auf den Fluren des Berliner Konferenzhotels keine großen Themen sind: „Den Technikern ist ja vorher schon bewusst gewesen, was alles möglich ist.“

Im Hauptberuf ist Dittler übrigens Netzwerkberater, und kurioserweise ist einer seiner Schwerpunkte die Internetsicherheit. „Ja ja“, sagt er, „Sicherheit hat immer zwei Facetten: dass die Daten ankommen und dass keiner meine Daten mitliest“. Bei der Konferenz, so stellt er klar, spielt das Mitlesen nur eine kleinere Rolle. „Wir wollen Datenpakete übertragen, möglichst schnell und effizient. Bei der IETF geht es um Pakete, Pakete, Pakete.“

Hinter dem Akronym IETF verbirgt sich die Internet Engineering Task Force, eine Organisation, in der lauter freiwillige Fachleute gemeinsam an neuen Standards der digitalen Datenübertragung arbeiten. E-Mails, wie wir sie heute kennen, gehen auf IETF zurück.

Auch die Entwicklung von http, dem Protokoll, das heute Bestandteil jeder Internetadresse ist, basiert auf Entwicklungen in IETF-Arbeitsgruppen. Die Internetsociety ist wiederum das Dach dieser Entwicklerkreise, und seine internationale Vorsitzende (ja, eine Frau, seit 2001 im Amt!) Lynn St. Amour aus den USA glänzt noch mit einem ziemlich gleichgültigen Satz: „Prism? Jedes entwickelte Land hat wohl etwas Vergleichbares.“

Website der Konferenz: www.ietf.org/meeting/87/