Fische und andere Träume

Profis, gemischt mit Laien: Die multimediale Performance „Home Sweet Home“ der türkischen Regisseurin Emre Koyuncuoglu hat im Rahmen des „Polyzentral“-Festivals auf Kampnagel Premiere

Widersprüchliche, multimediale Collage aus Tanz und Ton

von Katrin Jäger

Die Performerin Esra Bezen Bilgin springt. Hin und her, vor und zurück. So lange, bis sie atemlos nach Luft schnappt. Da taucht eine zweite Person aus dem Hintergrund auf und hält ihr den Mund zu. „Sie beginnt sich zu winden, sie tanzt um ihr Leben“, sagt die türkische Regisseurin Emre Koyuncuoglu. Dieser symbolische Tanz mit der Macht ist einer der choreografischen Eckpunkte ihrer Inszenierung „Home Sweet Home“. Am heutigen Donnerstag hat das Stück auf Kampnagel Premiere.

„Home Sweet Home“ ist die multimediale, zersplitterte, mehrchörige und widersprüchliche Antwort auf die Frage, was Heimat sei. „Ich habe viele Interviews geführt mit Menschen aus verschiedenen Regionen, mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, unterschiedlichen Alters und sexueller Orientierung, die alle in der Türkei leben“, erzählt Koyuncuoglu. Sie wollte wissen, was in deren Leben am wichtigsten sei. Für eine alte Frau war dies ein wahr gewordener Traum. Darin hatte sie als junge Frau einen prachtvollen Fisch gefangen. Einen Monat später hat sie sich einen wunderbaren Ehemann geangelt. Eine andere Person erzählte, wie sie ihrem Bruder zur Seite stand, als er sich vor zwei Jahren in einem türkischen Gefängnis am Hungerstreik beteiligte.

Aus dem vielfältigen Audiomaterial hat Emre Koyuncuoglu Sprachcollagen zusammengeschnitten, gebündelt, beispielsweise zu den Themen Liebe oder Scheitern. Die Performerin Esra Bezen Bilgin spricht am Anfang mit diesen Patchworkstimmen im Off. So, als stünde sie mit ihren eigenen Erinnerungen im Dialog. Dazu ertönt ein Klangteppich unterschiedlicher Geräusche aus dem Alltag der Interviewten. Zum Beispiel das Schlagen des Hammers auf das Eisen in einer Schmiede. Die Komponistin Koray Basaran hat diese Geräusche im Computer zusammen mit anderen Tönen zu einer experimentellen Klanginstallation verdichtet.

Die Struktur des Stückes ist wie die der Erinnerung: fragmentarisch, sprunghaft, gleitend. Daher hängen die Szenen auch nicht zusammen. Einzig die Protagonistin zieht sich als konstantes Element durch die einzelnen Szenen. Videos flackern auf, Bilder, weitere Menschen bewegen sich durch den Raum, erzählen ihre eigene Geschichte.

Neben den festen Ensemblemitgliedern hat Emre Koyuncuoglu zehn türkischstämmige LaiendarstellerInnen aus Hamburg für die Aufführungen auf Kampnagel gecastet. „Sie haben so viel zu erzählen, das kann ich gar nicht alles ins Stück integrieren“, berichtet die Regisseurin. Mit den Laien zu arbeiten findet Emre Koyuncuoglu schwierig. „Wir üben manchmal nur das Aufstehen und Hinsetzen. Das ist anstrengend, aber dann kommt am Ende doch etwas dabei heraus. Das ist schön.“ Die Proben für die Aufführung von „Home Sweet Home“ in Berlin vor zwei Jahren fand sie einfacher. „Dort gibt es eine gut organisierte türkische Community. Die Volkstanzgruppen oder die Gesangsgruppen beispielsweise haben mich unterstützt.“

Aber ob in Belgien, in der Türkei, in Portugal oder hier in Hamburg: Jedes Mal spielen Menschen mit, die am Auftrittsort leben, das gehört zu Koyuncuoglus Konzept. Es geht ihr darum, mit diesen zunächst fremden Menschen zu arbeiten, und mit ihnen zu beginnen, so etwas wie Heimat herzustellen, „einen Platz, wo wir zusammen leben, und die Zuschauer sind dann die Gäste in unserem Haus“.

Die Suche nach der heimatlichen Süße beginnt also schon weit vor der eigentlichen Aufführung mit Probenbeginn. Als sie 2004 in Brüssel ihr Stück zum ersten Mal zur Aufführung gebracht hat, da ging die Regisseurin viel verbissener an die Arbeit. Damals liefen in der EU-Hauptstadt parallel die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. „Ich wollte zeigen, dass wir uns über unsere Rolle in Europa, als Europäer, Gedanken machen“, sagt die 38-jährige. „Im Laufe der zwei Jahre habe ich einen ironischen Umgang mit dem Heimatbegriff entwickelt.“ Doch in Hamburg bleibt die performative Suche nach dem „Home Sweet Home“ eine ernste Angelegenheit. „Die hiesigen Darsteller haben meine Ideen in Richtung Humor nicht aufgegriffen, also kommen sie nicht vor“, sagt Koyuncuoglu.

„Home Sweet Home – Hamburg“, Performance in türkischer Sprache, mit deutschen Übertiteln 9. bis 11.3., 19.30 Uhr, Kampnagel