Die Anti-Gartenschau

INSZENIERTES CHAOS Wuchern und wachsen soll es beim fünften Kunstcamp des Dockville-Festivals in Wilhelmsburg. „Unkraut“ heißt das Motto – eine Antithese zur IGS

VON ANNIKA LASARZIK

Grenzüberschreitungen gehören zum Wesen des Unkrauts: Wildes Gewächs hält sich nicht an Markierungen, Zaun und Stacheldraht, es sprießt an ungeahnten Orten und schafft dabei neue ästhetische Formen. Es ist eine sehr blumige Metapher, die sich die Initiatoren in diesem Jahr für das Dockville-Kunstcamp ausgedacht haben.

Internationale Künstler haben auf dem Gelände in Wilhelmsburg am Reiherstieg-Hauptdeich ein Experimentierfeld geschaffen, das ganz im Zeichen des kreativen Chaos stehen soll, bevor Mitte August wieder Musikliebhaber und Hipster in Scharen zum Open-Air-Festival pilgern.

Einer der Künstler ist Andreco aus Rom. Sein Werk ist ein überdimensionaler „Polyeder“ aus Holz, ein geometrischer Körper mit geraden Flächen. Das komplexe Gebilde wird mit Schlingpflanzen versehen, entstehen soll ein „Garten in Bewegung“ – das Kunstcamp schafft sich seine eigenen Ökosysteme. Unterstützt wird der Künstler von zwei Helferinnen vom Internationalen Bauorden, einer Organisation, die europaweit soziale und kulturelle Bauprojekte unterstützt. Es ist diese Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Laien, die das Kunstcamp ausmacht.

Für die rund 80 Künstler ist das Camp nicht nur kreative Spielwiese, sondern auch temporärer Wohnort. In diesem Jahr schlafen sie erstmals im „Igel“, eine an indigene Schlafstätten angelehnte Unterkunft. Entworfen wurde das Kunstwerk in seiner animalischen Form vom Architektenkollektiv „umschichten“.

Zum Beginn der Ausstellung am 1. August wird vermutlich nicht alles fertig sein – doch das Unvorhersehbare gehört zum Konzept. Das gilt besonders für Performance-Kunst wie die Kräuterschnapsdestillerie der Hamburger Künstlerin Móka Farkas. Wer die „heilende Kraft der Kräuter“ spüren will, kann sich einen individuellen Wunsch-Schnaps zusammenbrauen lassen.

„Artist Moves“ heißt die Arbeit des im Kosovo lebenden Künstlers Alban Muja. Er bewegt sich – täglich, querfeldein über das rund 5.000 Hektar große Gelände und zeichnet seine Bewegungen auf, bis eine eigene Karte des Areals vorliegt. Im öffentlichen Raum intervenieren wollen indes die Künstler der „Frl. Wunder AG“: Unbekannte Orte in Wilhelmsburg sollen durch Aktionen und temporäre Installationen kreativ erkundet werden.

Neben Kunst geht es aber natürlich auch um Musik. Auf dem Butterland-Open-Air am 4. August legen Smallpeople und Akaak auf. Tanzwütige mit einem Faible für Maskerade können sich auf den Vogelball am 10. August freuen – zu hören sind Mykki Blanco und das No Wave Duo Easter, gefeiert wird vor einem Freiluft-Bühnenbild der Berliner Szenografin Lena Moritzen.

Seit dem 22. Juli entstehen die Arbeiten zum Thema „Unkraut“. Es ist ein bewusst gewähltes Motiv, denn eine Kunstausstellung in Zeiten stadtplanerischer Vereinnahmung Wilhelmsburgs muss Position beziehen – so sieht es Susanne Schick, Kuratorin des Kunstcamps. „Auch abseits von Großprojekten lassen sich Kunst und Kultur etablieren“, sagt sie. Keine radikale Kritik, aber doch ein konzeptioneller Gegenentwurf sei das Camp: „Anders als Internationale Bauausstellung (IBA) und Internationale Gartenschau (IGS) nutzen wir bestehende Strukturen und setzen auf offene kommunikative Prozesse.“ Darum sei es wichtig, mit integrativen Konzepten Kunst in den Stadtteil zu tragen und den Dialog mit den Anwohnern zu fördern, sagt Susanne Schick – denn dass das Dockville selbst von Kritikern als Gentrifizierungsmotor gesehen wird, ist den Veranstaltern wohl bewusst.

Dockville-Kunstcamp: 1. 8.–4. 8 und 8. 8.–11. 8., Alte Schleuse 23