Kühle Nähe

Kommunikation, konstant gescheitert: Willy Brandts Sohn Lars liest im Literaturhaus aus „Andenken“

Leiden an des Vaters „menschlicher Knauserigkeit“

„Hätte man diesen Menschen von seinen Widersprüchen befreien wollen, wäre wenig von ihm übrig geblieben“, schreibt der 1951 geborene Schauspieler, Maler und Filmemacher Lars Brandt in seinem Erinnerungsbuch Andenken über seinen Vater Willy Brandt, aus dem er jetzt im Literaturhaus liest. In diesem Satz steckt schon fast das ganze Buch: Der Vater ist voller Widersprüche, das muss Lars Brandt schon früh erkannt haben.

Brandts Buch kreist um den 1992 verstorbenen Vater. Nähe und Distanz zeichnen das Werk aus, das keine Biografie sein will, noch weniger eine Aufarbeitung der politischen Geschichte. Es ist ein assoziatives, sprachlich geschliffenes Buch, das Sequenzen und Augenblicke im gemeinsamen Leben erzählt. An manchen Stellen bestätigt Lars Brandt das, was man über seinen Vater zu wissen glaubt: Er erzählt von den scheiternden Versuchen, emotionale Verbindlichkeit mit dem Vater herzustellen. Dieser rief Emotionen wach, „ohne ihnen wirklich zu antworten“. Lars Brandt nennt das „menschliche Knauserigkeit“.

Sechs Jahre war Lars Brandt alt, als sein Vater Regierender Bürgermeister von Berlin wurde. Damals kritzelte er irritierende Wortspiele aus dem Geburtsnamen seines Vaters an die Wände: „Frahm? Infam!“ Im Buch beschreibt er das Fehlen von Nähe, doch es gibt Ausnahmen. Ein gemeinsames Erlebnis beim Angeln ist in Erinnerung geblieben, die erlebte Zärtlichkeit muss für längere Zeit ausreichen.

Anziehung und Abstoßung – das Kind hat sie hautnah erlebt, und der Erwachsene spiegelt das Erlebnis in seinem Schreiben: Lars Brandts Duktus schwankt, mal ist er fast kühl, dann voller Intimität und Atmosphäre: „In Menschenansammlungen fühlte er sich besser aufgehoben als bei einzelnen, wenn nicht Funktionen und Zuordnungen klar definiert waren. Gruppen machten ihn weniger nervös. Menschenmassen, wo Gefühle zu abstrakten Strömen zusammenfließen, gaben ihm Sicherheit.“

Andenken ist ein Buch über Begegnungen mit den Kennedy-Kindern, mit dem Ceaușescu-Sohn, mit Herbert Wehner, doch vor allem ist es ein Buch über die Schwierigkeit von Kommunikation. Ein Buch, das beinahe ohne Anklage auskommt – und ohne Voyeurismus. Es ist ein Buch, dass Widersprüche zulässt: „Wie wenig passen die Mosaiksteine zueinander, aus denen sich sein Porträt zusammensetzt. Die Widersprüche aber binden die so uneinheitlich bunten Steine erst zusammen. Sogar goldene sind darunter. Will man ihr Schimmern wahrnehmen, muss man das Heterogene, Gebrochene, den inneren Gegensatz als Batterie begreifen, zwischen deren Polen sich Spannung aufbaut.“

Das größte Kompliment an das Buch ist vielleicht jenes: Es klärt nichts auf. Es schafft kein Verständnis. Es stellt das Diffuse im Wesen Willy Brands nachdrücklich aus. Marek Storch

Di, 7. 3., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38