Das Wesen des russischen Festes

„Etwas Freundliches und Warmes, das den Menschen glücklich macht“: Der Ukrainer Dimitri Tsotok lebt seit über zehn Jahren in Bremen. Anlässlich der Gorbatschowschen Geburtstagsfeier denkt er über das Wesen russischer Feste nach

„Wenn Herr Gorbatschow in Bremen feiert, denke ich, dass es einen großen Empfang geben wird, weil man Gorbatschow in Bremen mag und kennt. Es würde sich auf jeden Fall von einer durchschnittlichen Feier in Russland unterscheiden. Ich bin mir sicher, dass Herr Gorbatschow zu einem guten Empfang in einem schönen Restaurant eingeladen wird und dass auf jeden Fall Reden gehalten werden und dass er geehrt wird.

Wenn man als Normalbürger unter Russen etwas feiern möchte, würde man es natürlich auf russische Art feiern. So, wie man das in Russland oder in der Ukraine macht, ich denke, das ist identisch. Die Bräuche sind ähnlich. Und zwar würde man einen Tisch decken, das ist das Zentrum des Geschehens. Man würde da Vorspeisen, Getränke und alkoholische Getränke hinstellen. Es wird Wodka hingestellt oder Cognac, je nachdem, manche können den Wodka magentechnisch nicht gut vertragen. Und Weine werden getrunken, süße und trockene.

Man würde die Gäste zu einer bestimmten Zeit erwarten. Wenn sie sich verspäten möchten, allerdings nicht mehr als zwei Stunden, ja ich würde sagen, nicht mehr als eine Stunde, das ist die Toleranzgrenze. Weil die Gastgeber die Speisen warm servieren möchten, und da wird schon erwartet, dass die Gäste relativ pünktlich kommen.

Wenn jemand 75 wird, würde sicherlich etwas aufgeführt. Oder es werden extra Musiker bestellt und ein Restaurant gemietet. Ich denke, dass Russen im Laufe des Abends lauter würden, dass sie am Ende lachen und tanzen. Singen tun sie gern, genau. Wenn sie etwas getrunken haben, wenn es gut im Gange ist und die offiziellen Parts vollbracht sind, wird man einfach ausgelassener. Wenn es familiärer wird, dann kann es auch einmal zum Vorsingen der Lieblingslieder kommen. Das sind russische Lieder, die von Liebe und Glück und all diesen menschlichen Gefühlen handeln.

Russen sind emotional, so schätze ich sie ein und so kenne ich sie auch, und es wird mit leicht trauriger Note, aber gleichzeitig mit Hoffnung und Liebe gesungen. Leichte Traurigkeit, oder ich würde es lieber Melancholie nennen, das ist dem russischen Charakter sehr eigen.

Man tanzt gern Walzer, aber auch etwas Schnelleres, und sehr beliebt ist Zigeunermusik. Solche Musiker werden oft bestellt, weil sie eine ganz besondere Stimmung erzeugen, sie sind sehr energiegeladen, sehr leidenschaftlich.

Es ist wunderbar, wenn jemand etwas singen und spielen kann – das sind so besondere Abende. Da gibt es dann eine Gitarre im Haus und jemand kann so schöne Lieder singen. Es gibt so wunderbare Sänger. Wenn man einen getrunken hat, kann man da zergehen vor Freude und vor Gefühl.

Dem Jubilar wünscht man gute Gesundheit und viele Jahre, das ist das erste, was man einem älteren Menschen wünschen würde. ‚Wir kennen und lieben dich so lange, und bleib‘ für uns da‘ – etwas Freundliches und Warmes, das diesen Menschen glücklich macht.

Protokoll: grä