mitschriften aus der letzten reihe
: Können Hunde hellsehen? Lutz von Werder und sein gut besuchtes philosophisches Café

Dass auf sonntäglichen Kirchenbänken nicht unbedingt Gedränge herrscht, hat verschiedene Gründe. Einer heißt Prof. Dr. Lutz von Werder, Professor für Kreativitätsforschung, der im prall gefüllten Rangfoyer der Urania sonntags morgens sein „Philosophisches Café“ veranstaltet. Die Mühseligen und Beladenen sind auch an diesem Sonntag zum Meister gekommen: Paare unmittelbar diesseits und jenseits der Goldenen Hochzeit, alleinstehende Damen und sogar der ein oder andere konzentriert blickende Abiturient sitzen vor halben Salamibrötchen mit Petersiliengarnitur und Filterkaffee, um sich vom Professor in „die wichtigsten Themen der eigenen Lebensphilosophie“ einführen zu lassen.

Heute geht es um die Stellung des Menschen im Universum. Von Werder, an dessen Berliner Institut man für eine Gebühr von 4285 Euro „Biographisches und Kreatives Schreiben“ studieren und den Master of Arts erlangen kann, hat den Charme eines Grundschullehrers. Den weiß er allerdings gekonnt mit einem Showmastertalent zu verbinden, das vor allem dann zum Einsatz kommt, wenn er seinen Vortrag über das Universum unterbricht und seine Zuhörer zum Selbstdenken auffordert. „Können Hunde hellsehen?“, fragt er und wendet sich an eine ergraute Dame, die extra nicht von ihrem Brötchen abgebissen hat, damit sie dem Professor antworten kann. Ihren Nachbarn fragt von Werder: „Halten Sie sich für eine geistige Einheit, die die Entwicklung des universalen Geistes beeinflussen kann?“

Die Meinungen sind geteilt. Aber Lutz von Werder lässt erst einmal jeden zu Wort kommen. Schwadronierend manövriert er sich zwischen Tischen und Stühlen durch. Während er selbst ein fesches Mikroport am Mund trägt, reicht er den Gästen, die sich per Handzeichen zu Wort melden, ein Mikro aus Zeiten des Schwarzweißfernsehens.

Es ist schon beeindruckend, mit welch pädagogischer Feinarbeit von Werder Zuhörer und Mitdenker durch sein philosophisches Vormittagsprogramm zu dirigieren weiß. Ob denn eine materialistische oder eine idealistische Version der Entstehung des Kosmos überzeugender ist, fragt er zu Anfang. Und ob man es vorzieht, als Individuum eine gewisse Bedeutung im Universum zu haben; oder ob man am Ende seines Lebens einfach zu Staub zerfallen wolle: Asche zu Asche. Staub zu Staub. Über diese Formeln, die seine Kollegen von ihren Kanzeln predigen, kann von Werder nur verächtlich den Kopf schütteln, und die Zuhörer nicken ihm beflissen zu.

Und weiter geht’s: Sind wir etwa nur neuronal gesteuerte Mutanten? Oder eine evolutionäre Schimmelschicht, die am Ende einfach unter den großen kosmologischen Teppich gekehrt wird? Jetzt dreht von Werder langsam hoch, sein Mikroport rauscht so stark, als stünde er allein im eiskalten luftleeren Raum des Universums. Die Aufregung ist natürlich nur ein rhetorischer Schachzug. Eigentlich hält es Lutz von Werder mit den Titeln der unzähligen Bücher, die er selbst zur philosophischen Lebenskunst verfasst hat. „Das große philosophische Gelächter“ heißt eins und „Beklage dich nicht – philosophiere“ ein anderes. Und während ein paar ältere Damen noch immer vergeblich versuchen, aus den Resten ihres Filterkaffees etwas über die kosmologische Bedeutung des Menschen zu lesen, setzt Lutz von Werders philosophische Rundflug schon zur punktgenauen Landung an.

Der Mensch ist nicht einfach nur Materie, sagt er, sondern ein kreatives und denkendes Lebewesen. Und wir alle – das sagt er noch ein wenig eindringlicher – sind eine kreative und denkende Gemeinschaft. Für die steht übrigens am Eingang ein Tisch mit den Büchern des Meisters. Da sei für jeden was dabei, zum Weiterlesen. In den Kollekten der benachbarten Gotteshäuser wird an diesem Morgen sicher weniger Umsatz gemacht. Asche zu Asche.

WIEBKE POROMBKA

Auch eine Bildungskolumne gönnt sich Semesterferien. Zum Beginn des Sommersemesters versprechen wir einen neuen Start.