Zwischen den Schlachten

AUS DER KYRITZ-RUPPINER HEIDE THOMAS GERLACH

Vom Aussterben bedroht sind nicht nur Adler, Wiedehopf und Eichelhäher, sondern auch Förster. Weil die öffentliche Verwaltung immer mehr Aufgaben privatisiert, ist auch das Forstwesen auf dem Rückzug. Beamtenarbeit werde immer öfter durch Angestellte erledigt und aus Angestellten würden immer öfter Selbstständige und die Selbstständigen seien bald Konkurrenten ebenjener Beamten. So erzählt es Forstdirektor Thomas Schroeder. Der Försterberuf ist also gefährdet.

Um so schöner ist es, mit Schroeder und seinem Hund Moritz durch den Wald zu streifen. Ein stattlicher Mann mit je drei silbernen Eicheln auf den Schulterstücken, dazu ein Stöberhund, Rasse Deutscher Wachtel. Der 48-Jährige Schroeder ist seit 1998 Herr über das „Bombodrom“, zumindest im forstwirtschaftlichen Sinne. Seine Beine stecken in Stiefelschäften, die oben geschnürt sind, über die Knie spannen sich Lederhosen, auf dem Ärmel ruht der Bundesadler, der Schroeder zu einem hoheitlichen Wesen veredelt. Sein Jackenkragen ist hochgeschlagen, und sein Dialekt ist norddeutsch und ein wenig schneidig. Thomas Schroeder, Beamter, geht seinem Beruf seit 1992 bei der Bundesforstverwaltung nach. Diese betreut Liegenschaften des Bundes, auf denen es in der Regel grünt: Autobahnränder, Kanalufer. Vor allem aber militärisches Gelände: Flugplätze, Depots sowie gegenwärtige, künftige und ehemalige Truppenübungsplätze der Bundeswehr, der Sowjetarmee, der NVA und der Wehrmacht.

Schroeder hat in Göttingen Forstwissenschaften studiert, hat einen Jagdschein und die sonstigen Qualifikationen, er führt einen allradgetriebenen Dienstwagen, auf dessen Rücksitz der Försterhut mit Dachsbart liegt. Dahinter hockt der treue Moritz, der als arbeitender Hund von der Hundesteuer befreit ist.

Kampf ums russifizierte Biotop

Die knapp 12.000 Hektar Wald und Heide im Norden Brandenburgs sind ein besonderes Land. Hier hat die Sowjetarmee vierzig Jahre lang den Dritten Weltkrieg geprobt. Sie hat das gemacht, was sie auf all den anderen Schießplätzen in der DDR auch getan hat: aus allen Mündungen möglichst oft auf den imaginären Feind gefeuert. Doch zusätzlich hat sie hier auf ihn Bomben abgeworfen, was der Landschaft den Titel „Bombodrom“ eingebracht hat.

Seit Jahren prozessieren Bürger und Anrainergemeinden gegen die Bundeswehr, die das Gebiet wieder als „Luft-Boden-Schießplatz“ nutzen will. Der juristische Streit ums Bombodrom hat schon drei Verteidigungsminister überdauert. Mal haben die Gegner die Richter auf ihrer Seite, mal das Ministerium. Und während sie rechten, wachsen auf dem Bombodrom die Bäume in den Himmel.

Thomas Schroeder hebt an: Die spät blühende Traubenkirsche etwa – ein Gehölz, das nach dem Zweiten Weltkrieg aus Nordamerika eingewandert ist. Es breitet sich im deutschen Wald etwa so hemmungslos aus wie Schnellimbisse in den Vorstädten. Ursprünglich sollte sich die Traubenkirsche nützlich machen, denn sie ist nahezu unbrennbar, völlig anspruchslos und wirft einen so dichten Schatten, dass kein Halm mehr wächst – ideal für Brandschutzstreifen. Und so ließen Förster in Ost und West diesen Wunderbaum anpflanzen.

Dumm, dass sich die Traubenkirsche nicht an die Brandschutzstreifen gehalten hat und in den Himmel schießt wie Spargel im Mai. Jetzt verdrängt der Einwanderer den heimischen Bewuchs. Das Bombodrom erobert die Kirsche nur langsam, bis jetzt. „Das ist wie bei Goethes Zauberlehrling“, konstatiert Schroeder. Der Oberförster sitzt in einem Bauwagen, an seiner Seite der Revierförster, Forstamtmann Thomas Roth. Daneben hocken die Herren Kruse, Tomczyk und Radtke – Forstwirte, die mit ihren Kettensägen Ordnung in den Forst bringen und deren schwielige Hände nun auf dem Tisch ausruhen.

Es könnte ein Stillleben sein: Im verschneiten Wald fünf Männer, das Öfchen spuckt Wärme, und die Gedanken sind bei den Familien. Die Gedanken sind aber auf dem Truppenübungsplatz Wittstock, wie das Bombodrom offiziell heißt, und der letzte Schnee ist am Schmelzen. Die Männer sind aufgestanden, die drei Holzfäller fassen ihre Sägen. Schnell fressen die sich wieder in die Stämme. Ingo Kruse sägt lautstark einen Keil heraus, noch ein Schnitt, schon fällt der Baum, der Boden erzittert. Schluss. Die Kiefer, gut 80 Jahre gewachsen, ist zu Nutzholz geworden.

Dass sie weichen muss, hat einen Sinn. Nicht nur die Bundeswehr, auch die Bundesforstverwaltung hat mit dem Gelände Pläne: Der Wald, in dem nahezu jeder Baum von irgendeinem Lkw oder Panzer mindestens einmal angefahren wurde und in dessen Stämmen oft Metall steckt – dieses verlotterte, russifizierte Biotop soll Eichenwald werden. Das Chaos mit den rostigen Konservendosen und vor allem mit der Munition soll sich in hundert Jahren in einen sehr deutschen Wald verwandelt haben.

Wildschweine haben den Boden zerwühlt. Wonach suchen die hier? „Käfer, Larven. Eiweiß, tierisches Eiweiß“, sagt Förster Roth. Inzwischen hat Ingo Kruse, dessen Rauschebart an den eines Einsiedlers erinnert, den Stamm fachgerecht zerschnitten. Das dicke untere Ende – sonst der wertvollste Teil – dürfte in der Zellstofffabrik enden, sein Inneres ist morsch. Irgendwann einmal hat auch diesen Baum ein Gefährt gerammt, die Wunde hat die Kiefer nicht schließen könne, Wasser und Fäulnispilze drangen ein. „Das ist das Besondere bei einem militärisch genutzten Gelände“, bedauert Thomas Schroeder und schreitet am Stamm entlang. „Wäre er gesund und gerade, brächte er zwanzig Euro mehr pro Festmeter.“ Forstwirtschaft ist eben auch Wirtschaft.

Verjüngungsfreude im Revier

Ingo Kruse hat unterdessen einen weiteren Baum umgelegt und findet diesmal einen Nagel im Holz. „Da steckste nich drinne!“, bemerkt er lakonisch. Das Resultat bei professioneller Fortwirtschaft sähe anders aus. „Die Russen haben sicher nicht gezielt gepflegt“, mutmaßt Schroeder und lässt keinen Zweifel, dass es jetzt anders ist. Er bleibt stehen. „So. Wo ist mein Hund eigentlich?“ Thomas Schroeder blickt sich um, greift zur Pfeife, augenblicklich gellt ein Ton. Moritz marschiert herbei.

Thomas Schroeder lässt den Motor an und den Wagen rollen. „Hier sind junge Bäume ausgesamt!“ Auf einer Lichtung stehen kleine, saftgrüne Kiefern ängstlich beisammen. Die vielen Brände früher haben den Boden „verjüngungsfreudig“ gemacht, referiert der Forstdirektor. Bei der Verjüngungsfreudigkeit helfen die Förster nach. Sie reduzieren die Kiefern und setzen Linden-, Buchen- und vor allem Eichenpflanzen. „Eine Eiche. Noch eine Eiche. Das ist das, was wir haben wollen!“, freut sich Schroeder. Der Vorteil: Eichen-und-Buchen-Wald brennt so gut wie gar nicht. Und deswegen geht es der Kiefer an die Rinde.

An fertigen Holzstapeln, Polter genannt, hält er an. „Das ist eines unserer Produkte: Industrieholz. Krumm, astig“, urteilt Schroeder mit harter Stimme. Wenn das Holz Ohren hätte, es müsste sich schämen. Irgendwann wird ein Lkw kommen und die Stämme zur Zellstofffabrik schaffen.

„Das ist das Ende vom Lied“, sagt Schroeder, nun tiefer im Wald. Er weist auf einen sterbenden Baum, in den die Spechte Löcher gehackt haben wie bei einem Gouda. „Das gestatten wir auch!“ Denn es sei sinnvoller, solche Bäume stehen zu lassen, als Nistkästen aufzuhängen. Schroeder redet wie ein Monarch, der von seinen Untertanen spricht, geht kurz auf Kritiker ein – „Dem Naturschützer wird das nicht reichen, der will das auf großer Fläche!“ –, ist mit dem Wald sehr zufrieden. Zu seinen Füßen liegen fünf glänzende Hasenmurmeln.

Die Reise gerät zu einer würdigen Inspektion. Kiefern, Eichen und Buchen grüßen stumm, das Wild hat sich verkrümelt. Die Fahrt endet auf offenem Feld. Die Hälfte der von Schroeder verwalteten Fläche sieht so aus: weit, eine Heide eben. Hier haben die russischen Piloten ihre Bomben ausgeklinkt.

Nun ja, offen war das Feld noch vor zehn Jahren. Inzwischen haben Strauchwerk und Birken das Terrain besiedelt. „Freifläche mit forstlichem Aufwuchs“ heißt das im Försterdeutsch. Sandflächen sind mit Ginster und Erika überwuchert, im Boden schlummert tonnenweise Munition. Die Bundeswehr habe versprochen, das Gebiet zu räumen, sagt Schroeder, vorausgesetzt, ihr werde die vorgesehene Nutzung erlaubt. Anschließend würden wieder Flugzeuge ihre Lasten abwerfen. Allerdings keine scharfen Bomben. Was wäre die Aufgabe der Förster? „Sichtschutzwald, Lärmschutzwald, Brandschutzwald“, sagt Schroeder knapp und macht eine ausladende Geste.

Forstdirektor Schroeder und Forstamtmann Roth stehen auf einer Anhöhe und lassen den Blick schweifen. Feldherrnhügel hatte das einer der beiden eben genannt. „Deckung, Futter, alles da – ein klasse Biotop für Rotwild, das ja eigentlich Steppenbewohner ist.“ Förster in ihrem Element. Ein Kolkrabe knarrt in der Ferne, drei Grad plus, Dunst, am Boden hockt Moritz. Ein deutsches Gemälde. „Ja, diese Landschaft hat was Melancholisches“, schließt Schroeder. Jetzt fehlen nur noch Mondsichel und Caspar David Friedrich. Die werden nicht kommen. Stattdessen kommt die Bundeswehr. Vielleicht.