Aus Grünzeug wird alles Mögliche

GRÜNE WIRTSCHAFT Mit der „Strategie Bioökonomie“ will die Regierung die industrielle Produktion aus Pflanzen und Tieren befördern. Sie mogelt sich um das Problem herum, dass Land und Biomasse schon verplant sind

Klimawandel und Artensterben legen es nahe, weniger Pflanzen zu nutzen

AUS BERLIN HEIKE HOLDINGHAUSEN

Kurz vor Ende der Legislaturperiode will sich die Bundesregierung in die Zukunft aufmachen. Die „Politikstrategie Bioökonomie“, am Mittwoch vom Kabinett verabschiedet, soll die Wirtschaft dabei unterstützen, ihre Rohstoffbasis umzustellen, weg vom Erdöl, hin zu Pflanzen. „Fossile Rohstoffe sind endlich und knapp“, sagte Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) bei der Vorstellung der Strategie, „darum müssen wir wegkommen vom Öl und lernen, stärker zu nutzen, was die Natur uns bietet“. Um den Wandel anzuregen, sei ein tieferes Verständnis von biologischen Prozessen und Systemen notwendig und damit viel Forschung und Entwicklung, sagte Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU).

Die Natur schöpft bekanntlich aus dem Vollen, und so vielfältig die Natur ist, so vielfältig ist auch die Bioökonomie. Traditionell gehören dazu die Holz- und Papierindustrie, Teile der Land- und Energiewirtschaft und zunehmend die Chemie- und Kunststoffindustrie. Nicht nur Plastikflaschen aus Mais oder Methan, Kerosin aus Algen oder Handyhüllen aus Cellulose entstammen der biobasierten Ökonomie, sondern auch Holzmöbel oder Hanfkleider. Und auch mental ist die Branche buntscheckig: Kleine Ökobetriebe, die auf traditionelles Handwerk setzen, sind genauso dabei wie Chemieriesen.

Der Farbenfabrikant Hermann Fischer, Gründer des Auro-Unternehmens, kritisiert das Bioökonomiekonzept der Regierung, weil es Pflanzen letztlich nur als „dumme Kohlenstoffquelle“ missbrauche und auf ähnliche Verfahren setze wie die erdölbasierte Chemie. „Statt mit Erdöl nun also mit Pflanzentrümmern“, sagt Fischer.

22 Millionen Menschen beschäftigt die Branche laut Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe (FNR) europaweit. Jährlich setzt sie in Europa rund 120 Milliarden Euro um. Mit steigender Tendenz, derzeit liegen die Produktionskapazitäten für Biokunststoffe bei 1,4 Millionen Tonnen im Jahr, in drei Jahren erwartet die FNR 5,8 Millionen.

Diese Zahlen bergen Sprengstoff. Sie bedeuten, dass Fabriken mehr Rohstoffe benötigen, um sie zu verarbeiten. Die Belastung für fruchtbares Ackerland und Wälder ist bereits immens und wird „aufgrund zunehmend ressourcenintensiver Konsumweisen weiter ansteigen“, warnte das Umweltbundesamt kürzlich in einer Studie zu globalen Landflächen und Biomasse.

Die Konflikte, die sich aus der intensiveren Nutzung von Biomasse ergeben, sind in dem Strategiepapier der Regierung angedeutet. Mit der „Überprüfung des EEG“ zum Beispiel will sie „die Förderung im Bereich der Bioenergie hinsichtlich ihrer Effizienz für den Klimaschutz und der Entwicklung von Flächennutzungskonkurrenzen“ untersuchen. „Aber warum so vage?“, fragt Michael Carus vom Beratungs- und Forschungsinstitut Nova, das sich mit nachwachsenden Rohstoffen befasst. „Es ist allseits bekannt, dass die Nutzung von Pflanzen zur Gewinnung von Strom, Wärme und Biokraftstoffen viel zu stark gefördert wird“, sagt Carus. Er kritisiert die vorsichtige Problembeschreibung und fordert stattdessen Lösungen. „Man könnte zum Beispiel steuern, welche Rohstoffe in Holz-Pellet-Kraftwerken verbrannt würden“, sagt Carus. „Begünstigt werden dürften nur Pellets aus Möbel- oder anderem Abfallholz.“ Seit Jahren werde die Debatte über diese stufenweise sogenannte Kaskadennutzung geführt, doch in der Politikstrategie Bioökonomie finde sie sich nicht wieder.

Kein Wunder. Auf Seite 24 des Strategiepapiers findet sich der lapidare Satz: „Für die Zielkonflikte zwischen weltweit wachsender Nachfrage nach Biomasse und Zielen anderer Politikfelder, die das Angebotspotential einschränken, müssen Lösungen gefunden werden.“ Man könnte es auch Probleme nennen, und die sind: ein steigender Bedarf an Nahrungsmitteln und Energierohstoffen, der Klimawandel und das Artensterben, die es nahelegen, weniger Pflanzen zu nutzen.

Fast all diese „Zielkonflikte“ ergeben sich im Zuständigkeitsbereich der Landwirtschaftsministerin: Sie setzt auf eine exportorientierte, weltweit wettbewerbsfähige Fleischproduktion, für die Schweine- und Geflügelhalter Unmengen an Soja und Mais benötigen. Zudem betont Aigner stets die wichtige Rolle von Biogas und Sprit im Energiemix – und stellt klar, im Konflikt zwischen Tank und Teller müsse immer der Teller Vorrang haben. „Alles geht nicht“, sagt Carus.

„Wir brauchen eine stärkere Priorisierung“, sagt auch Christine Lang, Vorsitzende des Bioökonomie-Rates, der die Regierung berät. „Veredeln vor Verbrennen“ müsste das Motto sein. Sie begrüßt, dass die Regierung Forschung und Entwicklung fördere. Von 2010 bis 2016 fließen 2,4 Milliarden Euro in Forschungsprojekte.

„Deutschland steht in einem harten weltweiten Wettbewerb“, so die Biologin Lang. „Nordamerika, aber auch agrarrohstoffreiche Länder wie Brasilien oder Malaysia stecken viel Energie in das Thema.“ Deutschland führe zwar in Forschung und Entwicklung, sagt Kristy-Barbara Lange vom Lobbyverband European Bioplastics, „doch gab es bisher keine Unterstützung, die die Schaffung eines Marktes beschleunigt hätte“.

Die Bioökonomie sei wahrlich keine „neue Erfindung“, sagte Ministerin Aigner am Mittwoch. Menschen hätten seit Urzeiten Pflanzen genutzt. Dennoch sieht einer der Marktführer in der Biokunststoffbranche, das US-Unternehmen Natureworks, die geringe gesellschaftliche Akzeptanz von Bioplastik in Deutschland als eines der größten Hindernisse für ein schnelleres Wachstum. Die Rückkehr zur Pflanzenindustrie nach 100 Jahren Ölzeitalter wird kompliziert.