Dämonisches im Kerker

Die Gewinner und Verlierer der Winterspiele: Warum Österreich in beiden Kategorien vorn liegt, die Carabinieri das Bild der Spiele lieferten und Bruderliebe Goldmedaillen garantiert

VON ANDREAS RÜTTENAUER
UND MARKUS VÖLKER

„Tu, felix Austria, juble und jodle“ (H. C. Artmann)

Österreich, dieses Land, das so stolz auf seinen Minderwertigkeitskomplex ist, hat es den anderen mal so richtig gezeigt. 23 olympische Medaillen, darunter neun goldene, haben die Botschafter in den rot-weiß-roten Rennanzügen ins Alpenländle geholt. Neben der Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation werden die Plaketten in der Hofburg einen würdigen Platz finden. Pilgerströme sind vorprogrammiert. Die Wiener wollen den Abglanz ihrer Helden sehen. Das war schon immer so. Eine Macht ist aus den Österreichern geworden. Eine Nation erblickt sich auf Platz drei im Medaillenspiegel und ist beglückt. In Blitzumfragen gerät sogar Cordoba 1978 ins Hintertreffen; damals schossen Krankl & Co. die Deutschen vom Platz. Austrias ruhmreichen Söhne und Töchter brauchen nicht viel, um dem Land zu dienen, eigentlich nur a leiwande Pist’n. Da fahren sie dann sehr schnell runter. Glückliches Österreich!

Das Bild der Spiele kam von einem Carabinieri. Er fuchtelte mit dem Zeigefinger vor einem Österreicher herum. „Nicht mit mir, Bürschchen“, besagte die Geste; Schlimmes ließ sie erahnen. Die Carabinieri kannten wirklich keine Gnade. Keine Tasche blieb undurchsucht, kein Blutbeutel war vor ihnen sicher. Selbst verdächtige Autos ließen sie sprengen. Besonders auf dem Kieker aber hatten sie die Österreicher. Die Carabinieri durchwühlten die Lager der Biathleten und Langläufer – und zeigten sich verdammt kompromisslos. Gestählt im Kampf gegen Mafia, Camorra, Cosa Nostra und N’Drangheta stellten sie den Ösis nach. Die Ordnungshüter, genial angeleitet von Staatsanwalt Raffaele Guariniello, spielten auf null Toleranz. Die Ösis haben sie zermürbt. Und Olympia gerettet.

Eigentlich hatte er keine Chance. Es war ein gewagtes Unterfangen, auf das sich Waldemar Hartmann (vulgo: Waldi) da eingelassen hatte. Zusammen mit Harald Schmidt wollte der ehemalige Schnauzbartträger ein wenig über Olympia witzeln. Nicht wenige rechneten damit, dass Waldi zum Daueropfer Harrys werden würde, zur Zielscheibe des Schmidt’schen Spotts, zu Dick und Doof in einer Person. Denkste! Hartmann lief neben Schmidt zur Höchstform auf, erklärte dem großen Gesprächsmeister, dass Sport eine ernste Angelegenheit ist, über die nur derjenige gute Witze reißen kann, der sich ein wenig in der Materie auskennt. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass aus Waldis Late-Night-Sieg keine falschen Schlüsse gezogen werden. Auf eine tägliche Waldemar-Hartmann-Show kann trotz des Turiner Überraschungserfolgs getrost verzichtet werden.

Die einen liegen aufeinander und gewinnen gemeinsam. Die anderen fahren gegeneinander und freuen sich am Ende doch gemeinsam. Statt Zickenzoff war das Thema Bruderliebe bei den Spielen in vieler Munde. Die Gebrüder Andi und Wolfi Linger aus Österreich haben sich zusammen auf einen Schlitten gesetzt und sind zum Sieg gerodelt. „Wenn Brüder zusammenarbeiten, verwandeln sich Berge in Gold!“, heißt das Motto der Lingers – nachzulesen auch auf deren Homepage. Zusammenarbeiten, das konnten die Schweizer Gebrüder Schoch leider nicht. Denn beide traten im selben Wettbewerb als Konkurrenten gegeneinander an. Philipp und Simon qualifizierten sich für das Finale im Parallel-Riesenslalom. Philipp holte Gold, Simon Silber. Und beide lagen sich im Ziel in den Armen. Die Reaktion der Eltern machte das Glück perfekt. Der Sieger erzählte: „Mama weinte, und Papa ist unheimlich stolz.“ Bei den Schochs stimmt einfach alles. Was für eine Familie!

„die almen falten ihr gesicht in kühe und idioten“ (Ernst Jandl)

Sie sind ja nicht auf der Brennsupp’n daherg’schwommen, die Österreicher. Nein, sie wissen Schritt zu halten mit der Konkurrenz. Vor allem der Dracula vom Dachstein, der unter dem bürgerlichen Namen Walter Mayer nach Italien zu den Winterspielen reiste, war mit allen Säften gewaschen. Tiefrotes Blut konnte der Langlaufcoach herstellen und damit seine Athleten zu wahren Ausdauermonstern machen. Das Internationale Olympische Komitee kam dem Panscher auf die Spur, nicht zum ersten Mal. Das Land, das spitz ist auf die Spiele 2014, versinkt nun in einer Bernhard’schen Selbstanklage: „Das Dämonische ist uns ein immerwährender vaterländischer Kerker, in dem die Elemente der Dummheit und der Rücksichtslosigkeit zur täglichen Notdurft geworden sind.“ Mayer ist mittlerweile im Irrenhaus. Mayers Klienten sind untergetaucht. Und Österreich fragt sich, ob nicht auch der Medaillenwahn ein übles Leiden ist.

Als ein Instrument der Objektivität wurde das neue Punktesystem der Eiskunstläufer gepriesen. Nun sollten also nicht mehr korrupte und halb mafiöse Juroren über die Leistungen richten, sondern Menschmaschinen mit Computerunterstützung. Die Urteile sind nur wenig objektiver geworden, dafür sieht man nun ungezählte Stürze. Weil jeder Läufer wie verrückt Pirouetten dreht und sich dann zum nächsten Dreifach-Axel schwindelt, landen Hosenböden sonder Zahl auf dem Eis. „Es war fast wie beim Shorttrack“, hat Olympiasiegerin Tatjana Nawka aus Russland nach der Sturzserie im Eistanz gesagt. Die 6,0 muss schnellstens wieder her, die alte A- und B-Note sowieso. Und wenn man schon am Reformieren ist, dann sollten ausdrucksleere Gesten ebenso verboten werden wie schmalzige Begleitmusiken à la James Horners „Titanic“-Soundtrack.

„Was bringt mir der Konjunktiv?“, fragte sich Georg Hackl, der Große nach seinen Läufen auf der olympischen Rodelbahn. „Wenn ich schneller am Start wäre, wäre ich ganz vorne mit dabei.“ Siebter war er am Ende, ganz schön weit hinten für einen wie ihn. Eine echte Siegchance hatte der Schorsch nach seiner Bandscheibenoperation und der Nervenentzündung im Arm wohl nicht. Das muss ihm klar gewesen sein. Vielleicht ist er auch nur deshalb angetreten in Italien, um ein wenig Wahlkampf zu machen. Denn Georg Hackl war der deutsche Kandidat für die Athletenkommission des Internationalen Olympischen Komitees. Er wurde nicht gewählt. Auch das ist ein neues Gefühl für den Bärigen. Als CSU-Kandidat bei den Kommunalwahlen in Berchtesgaden flogen ihm die Stimmen nur so zu. Jetzt will er das Trainerdiplom an der Sporthochschule Köln machen. Mal sehen, ob er das schafft.

Chad Hedrick ist kein neuer Eric Heiden geworden, Bode Miller kein neuer Toni Sailer und auch von Apolo Anton Ohno wird schon bald keiner mehr sprechen. Dass ein Skirennfahrer so crazy war, für seinen Hund eine Akkreditierung zu besorgen, auch das interessiert niemanden so richtig, weil jener Daron Rahlves nicht gehalten hat, was er sich von sich versprochen hat. Auch Anni Friesingers Rundungen sind ohne Gold in einem Einzelwettbewerb kein wirklicher Hingucker. Der als emotionaler Höhepunkt fest einkalkulierte Auftritt des italienischen Eistanzpaars Barbara Fusar-Poli und Maurizio Margaglio endete mit einem Bauchplatscher auf dem Eis. Nein, die Spiele von Turin haben keine Superstars hervorgebracht. Das Startum ist in der Krise. Und Dreifach-Olympiasieger Michael Greis? Na ja. Der Mann ist Oberfeldwebel bei der Bundeswehr. Shorttracker Ahn Hyun-Soo aus Korea hat sogar noch eine Medaille mehr gewonnen, aber da kann er sich die Haare noch so schön blondieren, seinen Namen werden wir bald schon vergessen haben.