Wo Angstträume helfen

GEDENKEN Im Radialsystem zeigt die junge Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic einen Erinnerungsabend an die Opfer des Bosnienkrieges mit Musik von Arnold Schönberg

Der Geliebte, so ist es auch in Schönbergs Ein-Frau-Oper von 1929, ist tot; im dunklen Wald stößt die Frau auf seine Leiche

VON KATHARINA GRANZIN

Die Musik wirkt am Ende wie ein Filter, der die Realität in etwas Erträglicheres verwandelt. Wenn Schönberg das geahnt hätte. Tatsächlich weiß man vorher gar nicht so recht, was zu erwarten ist von einem Abend, der im Programmheft „eine musiktheatrale Erinnerung“ genannt wird und an dem es außer der einaktigen Oper „Erwartung“ von Arnold Schönberg Texte von Überlebenden des Bosnienkrieges zu hören geben wird.

Der 11. Juli, der Abend der Premiere, ist das Datum, an dem das Massaker von Srebrenica begann. Auch das hat man vorher nicht mehr so genau gewusst; es ist schließlich schon achtzehn Jahre her. Die junge Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic, die Anfang der neunziger Jahre als Kind aus Bosnien nach Deutschland geflohen ist, hat sich schweres Gepäck aufgeladen. Wie kann man im Theater auf angemessene Weise an etwas erinnern, das eigentlich zu grauenhaft ist, als dass die Menschen viel daran denken wollten? Man kann es.

Im Nachhinein ist es erstaunlich, was alles an einem einzigen Musiktheaterabend passieren kann. Er beginnt mit einem Stück Nachhilfeunterricht in der Geschichte Bosniens, dargestellt von kleinen Pappfiguren und -Icons, die von Schauspielern auf einem Tisch hin und her geschoben werden, gefilmt mit einer Handkamera und übertragen auf die große Leinwand. Das kommt, nach Art der animierten Einspielfilmchen in den Kika-Kindernachrichten, schon ein wenig überdidaktisch daher.

Aber dennoch ist dieser Einstieg als ein gleichsam umarmender Gestus nicht zu unterschätzen. Diejenigen, die hier Erinnerungstheater machen, sind nicht so vermessen, das für die Erinnerung notwendige Wissen beim Publikum vorauszusetzen.

Anschließend tragen Schauspieler Texte von Zeitzeugen vor. Sie stammen aus verschiedenen Publikationen, die in deutscher Übersetzung erschienen sind. Die Inszenierung bleibt dabei karg, es passiert nichts, das von den Worten ablenken könnte. So bleibt einem nichts, als zuzuhören. Eine Mutter davon erzählen zu hören, wie serbische Soldaten den vierzehnjährigen Sohn von ihr trennen, für immer. Einen Mann anzuhören, der mit hundertundsechzig anderen Männern zehn Tage in einer Garage eingesperrt war. Und den Bericht einer Frau, die als Kriegsbeute über Wochen hinweg immer wieder vergewaltigt wurde.

Die Frau steckt in einem quadratischen Kasten, als sie das erzählt, etwa einen mal einen Meter groß. Ebenso groß ist das Loch im Boden, in dem der Totengräber sitzt, und ungefähr genauso die Kiste, worin der Garagenmann mit einem Leidensgenossen steckt. Mal stehen die Schauspieler auch hinter einer transparenten Wand, an die sie zuvor die Namen von Ermordeten geheftet haben. Hadziahmetovic überlässt die Inszenierung ganz der Kraft der Texte, sie gibt ihnen nur einen Rahmen. Das reicht, es ist fast schon mehr als genug.

Als sich nach eineinhalb Stunden das Kammerensemble der Komischen Oper (KOM) an einer Seite der Halle aufbaut und Arnold Schönbergs „Erwartung“ anhebt, kommt die Musik als eine Art Erlösung. Eine Frau irrt auf der Bühne umher, sucht ihren Geliebten, findet in den umherliegenden Leichensäcken Kleidungsstücke, die sie sorgsam ausbreitet, streichelt, anprobiert. Der Geliebte, so ist es auch in Schönbergs Ein-Frau-Oper von 1929, ist tot; im dunklen Wald stößt die Frau auf seine Leiche.

„Als ein Angsttraum“ könne sein Stück aufgefasst werden, schrieb der Komponist selbst darüber. Sein expressionistischer Gestus gibt extreme Gefühlsbewegungen wieder, Verzweiflung, Wut, Zärtlichkeit und Trauer. Die traumatischen Kriegserfahrungen, von denen vorher so lange in so sachlichen Berichten die Rede war, werden in der Musik aufgehoben und transzendiert. Gerade das Albtraumhafte verschiebt sie in einen Bereich, in dem sie erst wirklich vorstellbar werden. Das ensembleKOM unter Catherine Larsen-Maguire und die Sopranistin Christiane Iven geben Schönbergs halbstündigem Bühnenstück eine musikalisch traumwandlerische, intensive Präsenz.

Fast stellt sich an diesem Abend nicht einmal die Frage nach Art und Weise der künstlerischen Ausführung. Um Schönberg ging es schließlich gar nicht. Dessen Musik ist hier zwar instrumentalisiert worden, um Gedenken fassbar zu machen. Aber das zeigt auch, wie Kunst eine Hilfe werden kann. Das zu erleben ist erhellend.

■ Wieder im Radialsystem: 13. 7., 19 Uhr