Die Lust im Plattenbau

Gelungenes Wechselspiel: Dusan David Parizek inszeniert am Kölner Schauspielhaus Lessings Drama „Emilia Galotti“ – in einem Ambiente, das so piefig anmutet wie einst Erich Honeckers Arbeitszimmer

VON HOLGER MÖHLMANN

Ein Trauerspiel zu Karneval? Mit „Emilia Galotti“ zeigt das Kölner Schauspielhaus derzeit ein Stück, in dem es alles andere als lustig zugeht. Offenbar denken die Theatergewaltigen der Domstadt schon an die entbehrungsreiche Zeit nach Aschermittwoch. Oder an die Mühsal des Zentralabiturs? Immerhin ist Lessings Klassiker von 1772 landesweite Pflichtlektüre für die Jahrgangsstufe zwölf.

„Emilia Galotti“, das ist die Geschichte des frommen Bürgermädchens aus der Stadt Guastalla, das kurz vor seiner Hochzeit die Aufmerksamkeit des lasterhaften Landesfürsten erregt. Um seinem Dienstherrn die junge Schöne zuzuführen, lässt Kammerherr Marinelli Emilias Bräutigam töten und den Rest der Familie ins fürstliche Lustschloss bringen – angeblich zu ihrem Schutz. Doch die wahren Zusammenhänge lassen sich nicht lange verbergen. Immer schwerer wiegt der Verdacht gegen den Prinzen und seinen gewissenlosen Handlanger. Und schließlich die Katastrophe: Emilias Vater tötet seine Tochter, bevor ein Tyrann sie zu seinem erotischen Spielzeug machen kann.

In Köln wird das Lustschloss zum Plattenbau: Vor und auf riesigen dunkelbraunen Quadraten in altbackenem Parkettbodendesign lässt Regisseur Dusan David Parizek seine SchauspielerInnen agieren. Ein Ambiente so piefig wie Honeckers Arbeitszimmer. Hübsch ist das nicht, aber stimmig: Schließlich ist es nicht der konsequent seinen Begierden nachgebende Prinz, sondern der disziplinierte Funktionär Marinelli, der sich auf dem glatten Parkett des Hofes am sichersten bewegt. Und der in seiner Amtsstube die Fäden spinnt, die seine Gegner zu Fall bringen.

Zu dieser Beamtenwelt passt brave, unauffällige Kleidung: In Ensembles aus schwarz, weiß und Grautönen bewegen sich die Figuren durch einen spannenden, auf einhundert Minuten verdichteten Theaterabend. Sein Schwerpunkt liegt auf der effektvollen Umsetzung von Lessings lakonischer Sprache. Parizek gelingt ein Wechselspiel zwischen einer halb deklamatorischen, halb ironischen Intonation und einigen geschickt platzierten emotionalen Höhepunkten.

Nur wenn Parizek seine Akteure ausnahmsweise zur ganz großen Emotion auflaufen lässt, klingt Lessings Sprache plötzlich hohl und leer. Am meisten überzeugt der Abend, wenn er zu seinem tiefgründigen Plauderton und zur strengen Ästhetik von Chabrolfilmen zurückfindet. Und wenn die Figuren dank raffinierter Lichtregie (Johan Delaere) zu Schattenspielern werden, die groteske Silhouetten an die Wände werfen und lebendiges Sprechtheater abliefern.

Den seit jeher umstrittenen Schluss des Stücks legt Parizek auf eine Weise an, die ihm liegt und die zur übrigen Inszenierung passt: als eine verhaltene, dabei ausdrucksstarke und bildgewaltige Mischung aus väterlicher Verzweiflungstat und Tötung auf Verlangen, als emotionaler Pas de deux auf leerer Bühne, nachdem alle Mauern gefallen sind. Vanessa Stern als verunsicherte, gegen Ende über sich hinauswachsende Emilia, Sébastien Jacobi als anspruchsvoller und zugleich machtloser Prinz, Janning Kahnert als Emilias Bräutigam – sie alle spielen ihre Rollen überzeugend und differenziert. Herausragend und facettenreich schillernd in der Darstellung ihrer widerstreitenden Gefühle: Anja Herden und Dirk Lange als Emilias Eltern.

Probleme bereitet die so wichtige Figur des Marinelli: Warum der Regisseur die gerissene Hofschranze als retardiert-intriganten Buchhalter anlegt, dem ein wenig mehr Lebendigkeit gut getan hätte, wird sein Geheimnis bleiben. Und Anja Laïs, schon als leicht debile Eustache in Michael Thalheimers Inszenierung von Kleists „Familie Schroffenstein“ schlecht weggekommen, wird auch bei Parizek als Gräfin Orsina unverdientermaßen zur albernen Figur. Trotzdem: Diese Inszenierung ist Karneval für den Geist – und auch nach Aschermittwoch ein Gewinn.

Die nächsten Vorstellungen: Heute und am 1., 4., 7. März, Schauspielhaus KölnTickets: 0221-22 12 84 00