Eine Moral, die von innen kommt

RETROSPEKTIVE Mehr als „Kuhle Wampe“: Der Defa-Filmemacher Slátan Dudow, genannt „Der Kompromisslose“, wird im Zeughauskino mit einer großen Werkschau gewürdigt

Die deutsch-deutsche Parallelwelt vor dem Mauerbau nahm Dudow als ökonomische und ideologische Transitzone wahr

VON BARBARA WURM

Wer kennt ihn nicht, diesen Namen, der so unverwechselbar das Inventar der linken und DDR-Kultursphäre mit jenem Hauch an Ostexotik schmückte, wie die Soljanka es auf dem Speiseplan tat? Neben Kurt Maetzig war ein Bulgare der wohl bedeutendste Defa-Regisseur, Slátan Dudow, Eisenbahnersohn aus Zaribrod, geboren 1903. Sozialisiert im Berlin der Weimarer Republik, studierte er beim damaligen Doyen der Theaterwissenschaften Max Herrmann, hospitierte in Babelsberg, als Fritz Lang „Metropolis“ drehte, schloss sich der Spielgruppenbewegung der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) an, las – wie alle guten Linken – Marx, Engels, Lenin, sah Eisensteins „Potemkin“, war Russenfilm-begeistert.

1929 ging es zur Recherche an Moskaus Theater, dann folgte die Schicksalsbegegnung mit Bertolt Brecht, Exil 1934, Rückkehr 1948. Die früh erprobte Liaison mit B.B. ging auf und war von Dauer – anders als bei Wolfgang Staudte etwa, Dudows großem „Komplementär“ im deutschen politischen Nachkriegskino, der die DDR und die Defa ab 1955 für immer verließ. Als Slátan Dudow 1963, während der Dreharbeiten zum unvollendet gebliebenen achten Spielfilm „Christine“, bei einem Autounfall ums Leben kam, war schnell klar, dass auch er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, der Ruhestätte ostdeutscher Kulturprominenz, beerdigt werden würde.

Dudow + Brecht + Eisler = „Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?“ Das ist jene Formel, die zumindest im Filmgeschichtskanon noch existiert, und ihre Wirkmächtigkeit kann man nun im Zeughauskino austesten. Was gut ist, denn die zentrale (Klassen-)Frage, die dieses kommunistische Manifest des deutschen Kinos stellt – „Wessen Straße ist die Straße? Wessen Welt ist die Welt?“ –, steht, könnte man meinen, gerade hoch im Kurs. Die Kuhle Wampe, um- und bekämpft, zensiert, abgeändert, immer noch messerscharf, wird zur Urszene des „Solidaritätslieds“. Hanns Eislers Rhythmen, seine peitschende Dynamik bleiben aber auch in Dudows erster Nachkriegsarbeit „Unser täglich Brot“ (1949) „kongenial frontal“: gemeinsam mit der leeren Brotdose werden sie zum Leitmotiv dieses komplexen Familienporträts im Trümmerberlin.

Dudows Stärke ist es, seine Figuren zwar zu Repräsentanten konkreter politischer Haltung zu machen (Fabrikaufbauenthusiasmus vs. Schieberei zum Beispiel), zugleich jedoch Individuen zu gestalten, mit subtilen sozialen Gesten und Tonlagen, ernstzunehmenden Schicksalen sowie einer Moral, die von innen kommt, kommen muss.

„Naturalisiert“, würde man heute sagen, wurde er, den man bei der Defa „Dudow, den Kompromisslosen“ nannte. Dennoch verhalf ihm vielleicht gerade der leicht (kultur-)versetzte Blick zu jener besonderen Perspektive, aus der er die deutsch-deutsche Parallelwelt vor dem Mauerbau als ökonomische und ideologische Transitzone wahrnahm und in brisante Filmnarrative und Genres übersetzte – von der optimistischen Antifa-Tragödie „Stärker als die Nacht“ (1954) bis zum superskurrilen „Hauptmann von Köln“ (1956), in dem der arbeitslose Kellner Albert Hauptmann als Wehrmachtsoffizier Hauptmann Albert gesellschaftlich reüssiert, von den Altnazis die Karriereleiter hochgepusht. Was sich da beim Trinkgelage der Kriegsverbrecher an Ekstase und Wahnwitz abspielt, lässt an den Satirescharfschützen Ernst Lubitsch denken.

Phasenweise exaltiert und karnevalesk geht es auch in „Frauenschicksale“ (1952) und insbesondere dem wohl meistdiskutierten Defa-Film aller Zeiten, „Verwirrung der Liebe“ (1959), zu, jenen beiden Werken, die den eigentlichen Kern von Dudows Kino bilden, zumindest aber den wichtigsten Nebenwiderspruch des an Widersprüchen reichhaltigen linken Denkens fokussieren: die kleinen Revolutionen im Leben der Frau, ihre Einstellung zu Mann, Beziehung, Familie, sozialer Unabhängigkeit, Klasse und – leidenschaftliche Liebe. „Frauenschicksale“ mag im wunderbarsten Soz-Rot enden und eine sehr eindeutige (und auch eindeutig verklärte) Perspektive auf den Alltag der Frau in der DDR einziehen lassen, aber über 105 Minuten überwiegen doch die Spannungen und Ambivalenzen, die ein Leben zwischen rationaler Entscheidungsfindung und Libido so aufbietet. „Verwirrung der Liebe“, mit all seinen Masken und Schleiern, die endlich auch nackte Körper mehr als nur andeuten, sprengt jenes Korsett, in dem man üblicherweise die Kultur der Deutschen Demokratischen Republik zu stecken vermeint.