KURZKRITIK: TV-DRAMA „EINE FRAGE DES VERTRAUENS“
: Echte oder falsche Ärztin?

Wer als Arzt arbeiten will, sollte ein gutes Zahlengedächtnis haben. Hunderte Seiten lang sind die Fragen des Physikums und wer all die biochemischen Formeln nicht auswendig lernt, darf hierzulande nicht am Krankenhaus praktizieren. Marie H. hatte nicht genug gelernt, fiel durch und wurde exmatrikuliert. Weil sie aber unbedingt Kinderärztin werden wollte, studierte sie weiter und fälschte ihre Approbation, mit der sie vier Jahre erfolgreich am Hamburger „Henriettenstift“ praktizierte. Eine hervorragende Medizinerin, geschätzt von Kollegen, gemocht von Patienten, prämiert von der Fachwelt – bis alles aufflog.

Wen diese Fiktion des NDR an irgendwas erinnert, liegt richtig: Marie H. ist Cornelia E., die 2007 mit ähnlichem Betrug am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) aufflog. „Eine Frage des Vertrauens“ ist also Reality-TV im Wortsinn, dramaturgisch angepasste Nachrichtenwirklichkeit, die bis hin zum Alter der Täterin (Silke Bodenbender) baugleich mit dem Fall der echten falschen Ärztin ist. Die hat den Film zwar weder vorab gesehen noch unterstützt, doch das hätte sie ruhig tun können: Denn wie damals die Boulevardpresse, ergreift Regisseur Miguel Alexandre Partei für die Täterin – im Film eine selbstlose Expertin für Mukoviszidose, die sich in den Vater eines behandelten Kindes verliebt.

Da diese Komponente den Erfordernissen des Genres – Liebe, Sex und Zärtlichkeit – zur Primetime folgt, ist der Film ein Statement gegen die praxisfernen Zugangskriterien der Schulmedizin und, abgesehen von seinen Schwülstigkeiten, wichtig. Nicht nur für Zuschauer, die den Fall im Original kennen. JAN FREITAG

„Eine Frage des Vertrauens“, heute, 20.15 Uhr, ARD