Zehn Milliarden Pfund für die Atomkraft

KONJUNKTUR Großbritannien will die Wirtschaft ankurbeln – und investiert auch in den AKW-Bau

„Die Regierung muss sich an der Anzahl von Baggern im Einsatz messen lassen und nicht an Strategien“

ADAM MARSHALL, DIREKTOR DER BRITISCHEN HANDELSKAMMER

DUBLIN taz | Die britische Regierung will ab 2016 bis zum Ende des Jahrzehnts 100 Milliarden Pfund für Infrastrukturmaßnahmen lockermachen, um die stagnierende Wirtschaft anzukurbeln. Das hat Danny Alexander, Staatssekretär im Finanzministerium, vorige Woche angekündigt. Allein zehn Milliarden davon sind als Garantiesumme für ein neues Atomkraftwerk bei Hinkley Point in Somerset vorgesehen.

Die Summe soll dem Energiekonzern Électricité de France (EDF), einem der größten Stromanbieter in Großbritannien, auf die Sprünge helfen, das AKW für 14 Milliarden Pfund endlich zu bauen. Dabei handle es sich aber nicht um eine Subvention von Atomkraft, sagte Alexander: Das Geld werde EDF zu kommerziellen Bedingungen überlassen. Alexander kündigte außerdem eine Reform der Preise für erneuerbare Energien an. Das, so hofft er, werde die Pläne für Windkraftwerke vor der Küste mit Kapazitäten von 8 bis 16 Gigawatt vorantreiben.

28 Milliarden sollen in den Neubau und die Verbesserung des nationalen und lokalen Straßennetzes fließen. Es sei das größte Straßenbauprojekt seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, prahlte Alexander. Ab 2020 soll dann jährlich dreimal so viel für Straßen ausgegeben werden wie zum jetzigen Zeitpunkt.

Die Bauprojekte werden aber nicht irgendwelchen Beamten unterstellt sein, sondern „kommerziellen Experten“ – also Privatunternehmen. In die Eisenbahn will die Regierung ebenfalls investieren, eine Summe wurde jedoch nicht genannt. Jedenfalls sollen bis 2020 zwei Drittel von Nordengland binnen zwei Stunden von London aus erreichbar sein.

Um das alles zu finanzieren, soll bis 2020 Tafelsilber für rund 15 Milliarden Pfund verkauft werden – das bedeutet weitere Privatisierungen. Da das zwischen den Tories und ihrem Koalitionspartner, den Liberalen Demokraten, ausgehandelte Finanzpaket weit über die nächsten Parlamentswahlen hinausgeht, zielen beide Parteien offenbar auf eine Weiterführung der Koalition nach 2015 ab.

Adam Marshall, Direktor der britischen Handelskammer, sagte: „Die Regierung muss sich an der Anzahl von Baggern im Einsatz messen lassen, und nicht an Strategien und Pressemitteilungen, wenn diese Ankündigungen kurzfristig Vertrauen, mittelfristig Jobs im Baugewerbe und langfristig verbesserte Wettbewerbsfähigkeit auslösen sollen.“ Die Labour Party bezeichnete Alexanders Ankündigung als „saukomische Übertreibung“: Die Erfahrung habe gezeigt, dass es der Regierung bisher nie gelungen sei, großartige Infrastrukturpläne in die Tat umzusetzen.

RALF SOTSCHECK