Mit Flusskrebs, Fisch und Vogel wiegen

ANEIGNUNG Tom Phillips ist Sammler und Zeichner: Bei Barbara Wien zeigt er Objekte aus Afrika

Es ist ungewöhnlich, dass eine Galerie für zeitgenössische Kunst mit einer Sammlung afrikanischer Objekte von 1400 bis 1900 ihre Ausstellungsräume bespielt. Wenn es sich dabei um Goldgewichte handelt, deren Geschichte weitaus unentdeckt ist, wird es spannend. Zu verdanken ist diese besondere Präsentation einer Zusammenarbeit mit dem 1937 in Südlondon geboren Tom Phillips, der zugleich bildender Künstler, Übersetzer und ein anerkannter Spezialist für afrikanische Kunst und Kultur ist.

Einen Großteil seiner umfangreichen Sammlung afrikanischer Goldgewichte zeigt er bei Barbara Wien zum ersten Mal, begleitet von einer opulenten Publikation, die den Abschluss seiner dreißigjährigen Sammeltätigkeit markiert. Die auf drei Glasvitrinen verteilten Objekte sehen größtenteils keineswegs wie gängige Gewichte aus. Hier liegen vielmehr Flusskrebse und Fische hinter den durchsichtigen Scheiben, auch Vögel stehen da herum, um nur einige der mannigfachen Tierfigürchen aus Messing zu erwähnen. Mit ihrer Extravaganz beeindruckt eine Reihe figürlicher Miniaturskulpturen, die in großer Komplexität alltäglich menschliche Handlungen oder religiöse Rituale wiedergeben, darunter sogar das Goldstaubwiegen.

Vor mehr als sechshundert Jahren, also lange vor der Kolonialzeit, begannen die Akan-Völker solche Messinggewichte anzufertigen, um die Währung ihrer Region, den Goldstaub aus Ghana und der Elfenbeinküste, zu wiegen. Aus dem islamischen Norden waren Waagen und Gewichte und die Kunst des feinen Abgusses hierhergelangt. Darüber, wie sich damit der Wert des Goldstaubes bemessen ließ, gibt es heute nur Spekulationen.

Perspektive des Liebhabers

Sympathisch ist, dass Phillips sich dezidiert als europäischer Liebhaber dieser Objekte zu erkennen gibt. Er weiß, dass sein ästhetischer Blick auf dieses uralte Kunsthandwerk vermutlich nicht dem der Nutzer, Besitzer und Hersteller entspricht. Anders als Ethnografen, die versuchten, den sozialen und historischen Kontext auszuloten, erlaube er sich bewusst auch einen persönlichen Spekulationsspielraum. Er glaubt, dass ein kritischer Austausch von Ideen den Reichtum der Konzeptionen, die Kunstfertigkeit des Designs und die Qualität der Ausführung dieser Objekte erzeugte.

Auch Philipps Skizzenbuch „Ashanti Weights“ zeigt seine persönliche und doch dabei sehr differenzierte Herangehensweise an das fremde kulturelle System. Dabei dient ihm das Zeichnen und nicht die Fotografie zur Annäherung und Katalogisierung. Zu einem rein ästhetischen Inventar verkommt seine afrikanische Gewichtesammlung dabei sicherlich nicht.

Neben dem afrikanischen Schatz werden Siebdrucke gezeigt, die aus Phillips seit 1966 beständig wucherndem Buchprojekt „A Humument“ stammen. Durch feinfühlige Übermalung sind aus den Buchseitentexten nur noch ausgewählte Wörter in Sprechblasen zu lesen. Schier unerschöpflich erscheint die Verwandlung der beharrlich überarbeiteten Seiten von W. H. Mallocks „A Human Document“ von 1892. Beständig legt Phillips in diesem Lebensprojekt neue Sinnebenen frei und macht, vergleichbar mit seiner Gewichtesammlung, auf die Vielfältigkeit von Denkweisen aufmerksam.

JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

■ Tom Phillips, African Goldweights: Bücher, Bilder, Gewichte, bis 17.4., Barbara Wien Wilma Lukatsch, Linienstr. 158, Di–Fr 13–18, Sa 12–18 Uhr