Asche auf den Laib

KÄSE Auf dem Kiekeberg bei Hamburg treffen sich seit 15 Jahren die norddeutschen Käseliebhaber – diejenigen, die ihn vor allem verspeisen und diejenigen, die ihn zum Genuss reifen lassen

„Au goût du terroir“ steht auf einem Schild. Mit dem Geschmack der Gegend – Norddeutschland, in diesem Fall

VON AMADEUS ULRICH

Catherine André steht vor der Theke, und der Ziegenkäse darin ist fast verputzt. Ihn gibt’s als Frischkäse und Camembert, in Asche gewälzt, mit Knoblauch und Pfeffer; er schmeckt kräftig, würzig und ist in keinem Supermarkt zu kaufen. „Au goût du terroir“ steht auf einem Schild. Mit dem Geschmack der Gegend – Norddeutschland, in diesem Fall. Eine Kundin schwärmt: „Das hier ist der beste Ziegenkäse.“

Ein Sonntag, Anfang Juni. Im Freilichtmuseum am Kiekeberg bei Hamburg findet der Käsemarkt statt, das fünfzehnte Mal schon. Hier trifft sich Norddeutschlands Käse-Szene. 28 Händler aus der Region sind hier, teils zum ersten Mal, teils schon seit Jahren. Die Besucher probieren Häppchen, backen Käsekräcker, fachsimpeln und fragen die Händler, wie’s den Kühen zuhause geht. Allerorten duftet es nach Gewürzen und Käse, der löchrig, weich, hart oder cremig – und vor allem: aus regionaler Produktion ist.

Die Französin Catherine André stellt seit 23 Jahren ihren Ziegenkäse selbst her, auf einem Hof in Neubachenbruch. Ihr Stand ist in der Scheune. Sie kommt kaum dazu, sich zu unterhalten, so groß ist der Andrang. Eine Händlerin brüllt wie eine Marktschreierin. Gerade zerteilt sie einen großen Hartkäse, zwei Jahre sei der alt. „O, der knackt so schön!“ ruft sie, als das Messer hindurchgleitet.

Ihren Käse derart guttural anzupreisen, das braucht André nicht. Fast seit Beginn des Marktes vor 15 Jahren auf dem Kiekeberg ist sie dabei. Sie produziert ihren Ziegenkäse nach einer französischen Rezeptur, erzählt André, als kurz kein Kunde da ist. „In dieser Qualität findet man das nur noch selten“, sagt sie. Die Herstellung dauert mindestens vier Tage, dafür braucht es viel, viel frische Milch, die dann „lange arbeitet“. Geschmack brauche nun einmal Zeit.

Das ist das Credo der weltweit agierenden Genießervereinigung Slow Food, die es seit 20 Jahren gibt, die den Markt hier auf dem Kiekeberg organisiert und die schleswig-holsteinische Käsestraße 1999 gegründet hat.

„Es geht uns um die Freude des Geschmacks“, sagt Ursula Hudson, erste Vorsitzende des Vereins. Slow Food, was langsames Essen bedeutet, kritisiert die industrielle Massenproduktion. Der Verein möchte die Verbraucher für die „richtige“ Ernährung sensibilisieren – gerade für Norddeutschland sei das sehr wichtig, sagt Hudson. Schließlich sei Niedersachsen bekannt als Bundesland der Massenproduktion.

Gewiss, der Käse auf dem Kiekeberg schmeckt. Und ist nicht ganz billig. Aber können die Hersteller vom Erlös leben? Eine der Verkäuferinnen sagt: „Es ist kein Beruf, sondern ein Lebensstil. Wer Geld verdienen will, sollte etwas anderes machen.“

Dennoch hat sich der 32-jährige Christoph Schaper entschieden, umzuschulen und hier Käse zu verkaufen. Auf dem Kiekeberg ist er zum ersten Mal. Ziegenricotta, Roquefort, Gorgonzola: das und vieles mehr liegt bei ihm in der Theke. Eigentlich ist Schaper studierter Sozialpädagoge.

Nun ist er ein Affineur, ein Käseveredler. Deren Aufgabe ist es, Rohmilchkäse zu pflegen, heranreifen zu lassen, zu verfeinern, kurz: ihn geschmacklich auf eine höhere Stufe zu hieven. Mit Geduld und Feingefühl. Viele sagen, das sei Kunst, und jeder Affineur habe seine Zauberformel für den perfekten Käse.

Schaper übt noch. Vor einem Jahr hat er seine Ausbildung abgeschlossen und arbeitet nun bei der alten Meierei in Besdorf am Nord-Ostsee-Kanal. Die dortige Käse-Veredlung kooperiert mit regionalen Hofkäsereien, entwickelt neue Sorten und verfeinert Käse – etwa mit Weinbränden oder Mandel-Creme. „Unsere Zielgruppe sind Leute, die ungern Gummi essen“, sagt er.

Das regionale Käseangebot im Norden wachse immer stärker. In den letzten zehn Jahren habe sich viel getan. Im Vergleich sei es aber noch recht dürftig, sagt er. Das liegt daran, glaubt Schaper, dass die Esskultur hierzulande nicht so käseaffin wie zum Beispiel in Bayern ist, wo er herstammt. Auch sei der Norden wegen seiner flachen Landschaft „für die industrielle Nahrungsmittelproduktion prädestiniert“.

Schaper ist auf einem Bauernhof aufgewachsen, seit knapp 16 Jahren ist er Vegetarier; da sei er flugs aus dem Supermarktsortiment rausgewachsen, wie er sagt. Diese minutiöse Arbeit mit dem Käse, der Geschmack, wenn er fertig gereift ist, das fasziniert ihn. „Aber es braucht Leidenschaft, sehr viel davon sogar“, sagt er.

Ein letzter Besuch bei einem der Käsestände, bevor der Markt an diesem Sonntag schließt: Heike Riedel ist für ein norddeutsches Hofgut hier, das 40 Wasserbüffel besitzt. Die Milch der Tiere ist besonders wertvoll und schmackhaft, denn, so erklärt es Riedel, Büffel seien noch wild, und nicht so hochgezüchtet wie Kühe. Zum Vergleich: Ein Büffel gebe etwa acht Liter Milch am Tag. Eine Kuh mehr als das Vierfache. Wie so oft auf dem Kiekeberg gilt hier die Qualität vor der Quantität.

Inzwischen sind die Käsetheken beinahe leergeräubert. Es war ein guter Markttag. Auch für die Französin Catherine André mit ihrem in Asche gewälzten Ziegenkäse. Und dennoch sagt sie: „Finanziell lohnt sich das nicht, das Geld rinnt uns durch die Finger.“ Ohne Idealismus sei all das nicht möglich.