Die universelle Lehre vom Widerstand

Der österreichische Tanz-Guru Johann Kresnik inszeniert mit seinem „Choreographischen Theater“ an der Oper Bonn wieder einmal „Ulrike Meinhof“

Am 9. Mai 1976 öffnete der diensthabende Beamte morgens Ulrike Meinhofs Zellentür in Stuttgart-Stammheim und fand ihre Leiche am Fenstergitter

AUS BONNPETER ORTMANN

Wie Maden wühlen sich die Tänzerinnen und Tänzer zuckend durch Junk-Food-Verpackungen, stopfen sich Essensreste in den Hals, bis sie kotzen müssen – und beim Choreographen Johann Kresnik natürlich auch dürfen. Der Österreicher inszeniert nach „Hannelore Kohl“ an der Bonner Oper wieder seine „Ulrike Meinhof“ – eine subjektive Polit-Biografie aus Deutschland (West).

Für Kresnik scheint die Terroristin eine Wiedergängerin zu sein, ein Zombie aus dem Paradies – schon vor 15 Jahren geisterte sie in dieser Choreografie in Bremen über die Bühne, starb ein paar Jahre später auch auf Frank Castorfs Berliner Volksbühne. Jetzt ist sie in der ehemaligen Bundeshauptstadt wieder auferstanden, schaut immer noch verständnislos dem immer noch fressenden Treiben zu. Wie ein Spuk fortgefegt, macht es dann dem bundesdeutschen Hopsassa in Form des altbackenen Heino, dem Gottlieben Wendehals und Katja Ebstein Platz. Die Zeiten waren schlimm nach mehr als einem Jahrzehnt Adenauer. Die Zeiten waren schlimm nach der „Blutwurstvereinigung“ (Kresnik) 1990. Sind sie heute besser?

Nein. Und gerade deshalb ist das Meinhofsche Gefühl der Ohnmacht gegen einen verlogenen Staatsapparat immer noch vorhanden, ist selbst der alte Sisyphos noch nicht frei gesetzt worden. Die kausale Biografie der Nachkriegs-Waisen, die als 27-jährige Journalistin den Dolce-Vita-Chef einer linksradikalen Studentenzeitschrift heiratete, Zwillinge bekam, dann die Rote Armee Fraktion (RAF) mitgründete und zum Schluss als 41-jährige unter immer noch ungeklärten Umständen am Fenstergitter in Stuttgart-Stammheim baumelte, diese tragische Biografie hat keine Bedeutung mehr. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass sich die bundesdeutsche Wirklichkeit im Grunde genommen nicht geändert hat: Von den Notstandsgesetzen zu den Terrorabwehr-Paragraphen. Vom Wirtschaftswunder für wenige zum Export-Wahnsinn trotz Arbeitslosenheer. Da können auf der Bühne ruhig noch Hitler und Stalin kopulieren, aufgedunsene Nachkriegs-Wohlstandsbürger die kleine Ulrike vergewaltigen, oder SS-Schergen ihr Unwesen treiben, das Universelle am Widerstand gegen Unrecht bleibt zu spüren. Dies ist der eigentliche Verdienst von Johann Kresnik und seinem „Choreographischen Theater“ in Bonn.

Auch wenn das Premieren-Publikum artig-enthusiastisch applaudierte, dem Tanztheater-Frieden in der rheinischen Kleinstadt ist nicht zu trauen. Das Drei-Spartenhaus hat Sorgen. Die Kultur-Kaputtspargeier kreisen bereits. Gerade hat der Bonner IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Swoboda behauptet, Kultur sei der größte Ausgabenposten im städtischen Haushalt, dort müsse folglich gespart werden und als erstes würde es dann sicher dem ungeliebten Tanztheater an den Kragen gehen, auch wenn sich das Ausland um dessen Chef Kresnik reißt.

Am Schluss von „Ulrike Meinhof“ wird der personifizierte Widerstand brutal zwischen zwei Plexiglasscheiben verschraubt, während Heino eine verbotene Strophe des Deutschlandliedes schmettert. Eine Märtyrerin wandert als blutende Pop-Ikone in die Ausstellungshalle der Geschichte. Oder ist sie doch ein Schneewittchen im gläsernen Sarg? Eine Haltung, die momentan nur schläft? Dann sollten viele Menschen schnell die Münder spitzen. Ein aufweckender Kuss täte den Menschen in dieser Bundesrepublik wirklich gut.

So, 19. Februar, 18:00 UhrOper BonnInfos: 0228-778000