Die Affäre Bernard Tapie nimmt Fahrt auf

FRANKREICH Die Ungereimtheiten um den Schiedsspruch von 400 Millionen Euro zugunsten Tapies häufen sich. Jetzt wird der Exunternehmer selbst verhört. Die Rolle der Politik bei diesem Deal gilt als suspekt

Die Sozialisten wittern eine „Staatsaffäre“, in der Expräsident Sarkozy die Fäden zog

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Die Pariser Finanzpolizei hat nicht lange gefackelt. Der Geschäftsmann, Exfußballmanager, Exminister und Schauspieler Bernard Tapie wurde gestern für eine eingehende Befragung zum Adidas-Deal kurzerhand in Polizeigewahrsam genommen. Das bedeutet, dass er in Haft nach allen Regeln der Verhörkunst während maximal 96 Stunden zu den höchst verdächtig anmutenden Umständen eines für ihn äußerst vorteilhaften Schiedsgerichtsurteils in die Mangel genommen wird. Es gilt bereits als sehr wahrscheinlich, dass am Ende die für die „Tapie-Affäre“ zuständigen Pariser Untersuchungsrichter gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eröffnen. Er steht im Verdacht, Nutznießer oder gar Initiator eines „bandenmäßig begangenen Betrugs“ zu sein, der ihm 2008 nicht weniger als 403 Millionen Euro eingebracht hatte.

Die Ermittler haben laut Medieninformationen nicht weniger als 150 Fragen vorbereitet. Wie die öffentliche Meinung in Frankreich möchten sie ganz einfach wissen, warum es zu diesem für ihn unglaublich günstigen Ausgang eines Schiedsgerichtsverfahrens kam und was er dafür als Gegenleistung erbracht oder versprochen haben könnte.

Nach Meinung der Zeitung Le Monde, die angeblich Einsicht in die Akten nehmen konnte, steht bereits fest, dass bei der außergerichtlichen Schlichtung eines Streits zwischen Tapie und der Bank Crédit Lyonnais die Karten „gezinkt“ gewesen seien. Und aufgrund der Aussagen von Mitbeteiligten ziehe sich nun die Schlinge um den Hals von Tapie zu. Dieser hat bereits rund ein Jahr vor dem Schiedsspruch an einem entscheidenden Treffen im Élysée-Palast teilgenommen. Er hat in der fraglichen Zeit Staatspräsident Nicolas Sarkozy mehrmals getroffen und dessen engste Mitarbeiter, namentlich den UMP-Generalsekretär Claude Guéant 14-mal. Man schließt daraus, dass auf sein Drängen die Sache auf höchster Ebene entschieden wurde. Auch weiß man, dass Sarkozy schon als Minister ab 2004 darauf gedrängt hat, für Tapie den außergerichtlichen Weg zu wählen.

Inzwischen ist zudem bekannt, dass das aus drei Personen bestehende Schiedsgericht keineswegs so unabhängig war, wie dies der Fall sein sollte. Im dringenden Verdacht der Befangenheit und Interessenkonflikts steht vor allem Pierre Estoup. Er hatte enge Geschäftsbeziehungen mit Tapies Anwalt und hatte bereits früher mit seiner Intervention beim Gericht Tapie eine Haftstrafe erspart. Dieser hatte Estoup 1998 mit einer rührenden Buchwidmung gedankt, die jetzt aktenkundig ist. Estoup war maßgeblich für den Schiedsspruch von 2008 verantwortlich, da eines der Mitglieder durch einen Hirnschlag geschwächt war und der Dritte später offen zugab, er sei vom komplexen Dossier überfordert gewesen.

Die damalige Wirtschaftsministerin Christine Lagarde und ihr Kabinettsdirektor Stéphane Richard, die sich heute gegenseitig belasten, konnten nicht glaubwürdig erklären, warum sie gegen das Urteil keine Berufung eingereicht hatten und warum oder aufgrund von wessen Weisung Tapie zusätzlich zur Entschädigung für den angeblichen Verlust beim Adidas-Verkauf auch noch 45 Millionen Euro als moralische Wiedergutmachung bekam. „Sehe ich etwa aus wie eine Kumpanin von Tapie?“, hatte Lagarde geltend gemacht.

Die heute regierenden Sozialisten sehen in Tapie, einem ehemaligen Minister von François Mitterrand, der sich 2007 unverhofft als Sarkozys Freund und Wahlhelfer entpuppte, einen „Verräter“. Sie wittern eine „Staatsaffäre“, in der der rechte Expräsident die Fäden gezogen habe. Ähnlicher Ansicht scheinen auch die Untersuchungsrichter in Paris zu sein.