WM-Fieberkurve
: Giga oder gaga

Mann, war das schön: Ein Bier war ein Bier und eine Straße eine Straße. Aber diese Zeiten sind lange vorbei. Die Zeiten, in denen noch gekleckert wurde. Ach was, es war ja noch nicht einmal Kleckern, weil die Dinge einfach genau den Namen trugen, der sie am besten beschrieb. Dann kamen irgendwann die Supers und Megas und stellten die Werteordnung der deutschen Sprache derartig auf den Kopf, dass heute keiner mehr weiß, wo vorne und wo hinten ist.

Wenn die örtliche Feuerwehr in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Appen ein Megamotorradfest organisiert, dann ist das ähnlich irreführend wie die Tatsache, dass eine quakende Nervensäge seit drei Jahren zu Deutschlands Superstars gehört. Aber Super und Mega sind wohl sowieso schon wieder out. Zu platt, zu abgedroschen. Edel ist jetzt schwer angesagt. Letzte Woche habe ich meine erste „Goldkarte“ bekommen – nicht American Express, sondern von der Post, damit ich mich jederzeit an der nächsten Packstation einloggen kann.

Ich bin immer wieder erleichtert, wenn ich feststelle, dass Berlin nicht schläft. Gott sei Dank ist die Stadt gesegnet mit Politikern, die den Puls der Zeit längst mit ihrem eigenen Herzschlag synchronisiert haben. Zur Fußball-WM hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung jetzt ein „Premium-Straßennetz“ erarbeitet, wahrscheinlich bei ein paar Pils mit der gleichen Vorsilbe. In diesem Straßennetz sind alle wichtigen Straßen und Plätze verzeichnet, die während des Turniers frei bleiben sollen. Ein Schulterschluss mit der Weltmacht Fifa.

Dabei gilt: „Premium“ ist immer wichtiger als „nichtpremium“. Die Organisatoren vom Seifenkistenrennen auf der Badstraße und dem Müllerstraßenfest haben von der Senatsverwaltung deshalb bereits die Absage ihrer lange geplanten Veranstaltungen erhalten. Auch der Karneval der Kulturen ist zwar super, aber eben nicht „premium“ – also auch gefährdet, zumindest was die traditionelle Route betrifft. Die Senatsverwaltung schließt notwendige „Kompromisse“ dabei nicht aus.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es reicht: Aber eine kleine Namensänderung würde die Position der Veranstalter gegenüber der Senatsverwaltung mit einfachen Mitteln doch schon deutlich stärken: ein „Ultimate Soap-Box-Race“ oder eine „Pure-Platin-Party“ würde das schnöde „Premium-Straßennetz“ sofort verblassen lassen. Wenn nur dieses verdammte Gigaspektakel WM nicht wäre.

Christo Förster