Räuberleiter für die Deutsche Telekom

NETZNEUTRALITÄT Wirtschaftsminister Philipp Rösler legt einen Verordnungsentwurf vor, der einen diskriminierungsfreien Zugang zum Netz gewährleisten soll. Kritiker sagen, er legitimiere das Gegenteil

„Taschenspielertricks, die Aktivismus vortäuschen“

NETZAKTIVIST MARKUS BECKEDAHL

BERLIN taz | Insgesamt 76.000 Unterschriften hat der 20-jährige Student Johannes Scheller mit seiner „Petition 41.906“ gesammelt. Deshalb muss ihn der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags am heutigen Montag anhören. Scheller will ein Gesetz, das Internetanbieter verpflichtet, „alle Datenpakete von Nutzern unabhängig von ihrem Inhalt und ihrer Herkunft gleich zu behandeln“; Dienste dürften nicht „künstlich verlangsamt oder gar blockiert werden“.

Hintergrund ist eine Debatte, die sich am neuen Tarifmodell der Deutschen Telekom AG entzündet hatte. Der Bonner Konzern will Kunden ab 2016 den Internetzugang drosseln, wenn sie ein bestimmtes Datenvolumen überschreiten. Telekom-eigene Dienste wie „Telekom Entertain“ sollen nicht betroffen sein. Das wird in der Internet-Gemeinde heftig kritisiert: Wenn Inhalte im Netz nicht gleichbehandelt würden, seien manche leichter zugänglich als andere – und das gefährde die Meinungsfreiheit.

Das Bundeswirtschaftsministerium hat schon vor Schellers Anhörung reagiert. Am Donnerstagabend veröffentlichte es einen Verordnungsentwurf. Ein Gesetz sei nicht nötig, hieß es. Die „Grundsätze zur Netzneutralität“ seien seit 2012 im Telekommunikationsgesetz verankert, das von den Netzbetreibern einen diskriminierungsfreien Zugang verlange. Geht es nach Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), soll die Verordnung noch im Sommer beschlossen werden.

Konkret fordert der Entwurf, die „grundsätzliche Gleichbehandlung aller Datenpakete unabhängig von Inhalt, Dienst, Anwendung, Herkunft oder Ziel“. Allerdings sollen Provider auch eigene Dienste anbieten dürfen, für die dann andere Tarife gelten können. Genauer definiert werden diese sogenannten Managed Services jedoch nicht. Der Netzaktivist Markus Beckedahl glaubt: „Das Ministerium benutzt Taschenspielertricks, um Aktivismus vorzutäuschen. In Wirklichkeit legitimiert der Entwurf das Telekom-Modell.“

Der Grüne Konstantin von Notz spricht von einer „Räuberleiter für die Telekom“. Hinter dem Fachbegriff verberge sich nichts anderes als eine Einteilung des Internets in Dörfer: Innerhalb jedes Dorfes gibt es Diskriminierungsfreiheit, alle Daten werden gleich schnell übermittelt, möglicherweise auch nur bis zu einem bestimmten Volumen. Der Anbieter kann jedoch manche Produkte einfach in ein anderes Dorf verlagern – etwa indem er „Telekom-Entertain“ und Google als Managed Services anbietet, für die der Kunde extra zahlt, die er aber dafür unbegrenzt nutzen kann.

Die politische Geschäftsführerin der Piraten, Katharina Nocun, findet in dem Entwurf „viele Schlupflöcher“. Wenn es etwa heiße, unterschiedliche Dienste- oder Inhalteklassen dürften „grundsätzlich zur Effizienzsteigerung von Diensten und Netzen“ priorisiert werden, sei unklar, was „Effizienzsteigerung“ bedeute. Die Definitionsgewalt bleibe bei den Internetanbietern.

Der Verordnungsentwurf ist bereits an die anderen Ressorts gegangen. Dass die Verordnung noch in dieser Legislaturperiode kommt, mag der SPD-Politiker Martin Dörmann aber nicht glauben. Bei den wenigen verbleibenden Sitzungstagen sei das nur möglich, wenn das Ministerium sie „im Hauruckverfahren durchpeitscht, ohne öffentliche Debatte“. KATHARIN TAI

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