„Die Gesellschaft ist weiter als wir Parteien“

LINKE DENKFABRIK Das Institut für eine solidarische Moderne soll mehr leisten als die Vorbereitung auf Rot-Rot-Grün, sagt der Junggrüne Arvid Bell. Ein bisschen Druck auf die Parteispitzen kann zugleich aber auch nicht schaden. Am Sonntag tagt zum ersten Mal der Vorstand

■ 25, ist Mitglied im Bundesparteirat der Grünen und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Für die Grüne Jugend saß Bell auch jahrelang im Koordinierungskreis von Attac.

INTERVIEW FELIX LEE

taz: Herr Bell, ist das von Ihnen mitgegründete „Institut solidarische Moderne“ ein parteiübergreifender Komplott gegen die jeweilige Parteispitze?

Arvid Bell: Die Parteispitzen von SPD, Grünen und Linkspartei müssten meiner Meinung nach zwar tatsächlich mehr daran arbeiten, sich den gemeinsamen Gegner vorzunehmen. Unser Projekt ist aber nicht gegen die Parteiführung gerichtet. Es geht uns darum, Kräfte aus Gesellschaft, Wissenschaft, sozialen Bewegungen und Parteien zusammenzubringen und gemeinsam daran zu arbeiten, wie eine progressive Alternative zum Neoliberalismus aussehen könnte.

Wie sieht Ihre Parteiführung das, dass Sie nun mit Katja Kipping von der Linkspartei und Andrea Ypsilanti von der SPD regelmäßig an einem Tisch sitzen werden?

Die Parteiführung hat mich nicht kritisiert. Und warum soll ich nicht mit klugen Frauen zusammenarbeiten, deren emanzipatorische Ideen in ihren Parteien leider nicht mehrheitsfähig sind? Man sollte sich im Übrigen nicht davon beeinflussen lassen, welche Zusammenarbeit momentan für Aufregung sorgt. Ich habe bestimmte politische Vorstellungen. Und da schaue ich, mit wem es sich lohnt, Kontakte aufzubauen. Wenn ich mir die Welle an Eintritten anschaue, war das Institut eine gute Idee.

Warum suchen Sie sich Ihre Verbündeten nicht in Ihrer Partei?

Im Moment haben die Grünen als einzige Oppositionspartei schlüssige Konzepte. Wir verbinden Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit im Green New Deal. Die beiden sozialdemokratischen Parteien sind da sehr zerstritten und es ist strategisch völlig unklar, in welche Richtung sie gehen werden. Aber auch wenn wir Grüne momentan sehr gut dastehen – uns ist klar, dass wir Partner brauchen. Ich habe den Eindruck, dass es bei der SPD, in der Linkspartei, aber auch in den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen viele Menschen gibt, die sehr gute und wichtige Bündnispartner sein könnten. Mit denen möchte ich das Gespräch suchen und ausloten, wie wir ein alternatives politisches Projekt auf der Höhe der Zeit gestalten können.

Aber was soll ein solches Institut genau bezwecken und anders machen, als es etwa die parteinahen Stiftungen tun?

Die parteinahen Stiftungen sind eben sehr an ihre Parteien gebunden. Ich habe den Eindruck, dass die Gesellschaft in weiten Teilen weiter ist als die Parteien. Wir haben die skurrile Situation, dass in Deutschland CDU-geführte Landesregierungen abgewählt werden: Roland Koch in Hessen abgewählt, CDU in Thüringen abgewählt, Müller im Saarland wollte die Mehrheit nicht mehr, und Rüttgers wird der Nächste sein. Danach gibt es immer rot-rot-grünes Chaos und die drei linken Parteien sind nicht imstande, eine Regierung zu bilden. Am Ende ist die abgewählte CDU immer wieder da. Das ist doch absurd. Ich möchte die Perspektive haben, dass man in diesem Lande eine echte sozialökologische Reformpolitik und einen gesellschaftlichen Aufbruch hinbekommen kann. Und wenn das Institut dazu nur einen kleinen Beitrag leisten kann, ist schon viel gewonnen.

Die Kritik von Teilen der Bewegungslinken ist also berechtigt, dieses Institut diene der Vorbereitung von Rot-Rot-Grün?

Rot-Grün-Rot ist nicht das primäre Ziel dieses Instituts. Und es wäre sicherlich falsch, im Rahmen dieses Instituts eine regierungsfixierte Machtdebatte zu führen. Aber auch Bewegungslinke müssen doch Interesse an einer progressiven Mitte-links-Regierung haben, die einen sozialökologischen Politikwechsel einleitet. Das Institut soll dazu beitragen, grundlegende Konzepte für einen solchen Politikwechsel zu entwickeln, die auch umsetzbar sind.

Und was unterscheidet euch von Attac?

Es gibt zwar personelle Überschneidungen. Das Institut ist jedoch keine soziale Bewegung und wird keine Demos organisieren. Aber unbestritten: Der Geist ist ein ähnlicher: Ideen zu finden für eine andere Welt.