Wandern im Tiefschnee

Les Deux Alpes in den französischen Alpen bietet herrliche Abfahrten, aber auch Abwechslung für alle, die Skifahren nicht leiden können. Rund 30 Prozent der Gäste verbringen ihre Zeit mit Gleitschirmfliegen, Schneeschuh- und Flusswandern. Mit der Luxus-Pistenraupe geht es weit hinauf

von KORNELIA STINN

Am tiefblauen Himmel ist auch nicht die kleinste Wolke auszumachen. Verlockend glitzernde Schneedecke. Plattgewalzt die breiten Abfahrten. Im französischen Skigebiet von Les Deux Alpes zwischen Grenoble und Briancon reichen die Spielwiesen der Pistenflitzer bis hinauf auf 3.400 Meter Höhe. Das hat ganz oben Gletscherniveau und Fernblick bis zum Mont Blanc.

Wer in die Pisten-Zubringer-Gondeln einsteigt, ist selten ohne Bretter. Das ist im Skigebiet von Les Deux Alpes nicht anders als anderswo. Da mag es sein, dass der sensible Nur-Fußgänger sich ganz gern entschließt, zunächst einmal abzutauchen in das auf Prospekten als Künstlerdorf so gepriesene Venosc. Das liegt auf nur 900 Metern und die Sonne kommt ja auch hierhin.

Die Skifahrer eher nicht. Ein verschlafenes Nest, dieses Venosc, das gemeinsam mit dem Örtchen Mont de Lans am anderen Ende des Tales vor sechzig Jahren die Skistation auf den Weg brachte. Tief unten in einer Schlucht klettert es sich mühevoll über gepflasterte Pfade und ausgelatschte Treppen am Fels entlang. Wie pittoresk, mag da manch einer staunen. Anstrengend muss es für die Menschen gewesen sein, damals, als sie noch Bauern waren, Esel zum Transport einsetzten. Nun laden gepflegte Häuslein mit liebevoll gepinselten Handwerksschildern ein, näher hinzusehen.

„Les Trois Lutins“ – die drei Zwerge – steht an einem Geschenkestüblein. Der Honigladen hat noch geschlossen. Neugierig schauen dort die Schneeberge zum Fenster hinein. Der Rahmen hat mal wieder einen Anstrich nötig. Madame Lavoye „Maitre Artisan“ – Kunsthandwerkermeisterin – hat in ihrem Lädlein die meisten Dinge selbst gemacht: bemalte Seidentücher, Schmuckkreationen aus bunten Steinen, Seifen in exklusiven Verpackungen, Parfums. Jeder Winkel ist genutzt. Will man zur Eselsfarm, muss man wieder ganz nach unten steigen. Dreißig Eselsköpfe recken sich augenblicklich dem Besucher entgegen, sobald die Tür aufgeht. Verständlich, denn jeder von ihnen würde gern seine Platznot gegen eine Fahrt mit dem Schlitten in der guten Luft eintauschen.

Venosc stimmt nachdenklich. Das Leben hier kann nie ein Zuckerschlecken gewesen sein. Dem blauen Himmel mag man nun gern wieder näher kommen. Rein in die Gondel und hoch nach Alpe Venosc und dann auf schnellstem Wege ab in das Reich der Pistenflitzer. Nach Diable. Dorthin, wo man ganz hoch hinauskann. Sogar ohne Ski und geradewegs in den Himmel hinein.

Die Skiständer vor dem Restaurant sind voll gestellt. Mittagszeit! Am schönsten sitzt man auf der Terrasse. Von hier aus kann man beinahe zur Absprungrampe der Gleitschirmflieger schauen. Dort erwartet die Gleitschirmschule Air2Alpes ihre Gäste, die mit und ohne Skier zum Tandemflug ansetzen. Achthundert Meter über dem Ort Les Deux Alpes schwebt man in aller Ruhe über das weite weiße Schneeparadies. Pure Leidenschaft ist das, sagt Jean Baptiste Berliouz und dass er nichts anderes mehr tun will in seinem Leben. Man glaubt ihm das. Leicht springt der Funke über. Schade nur, dass die Landung so schnell erfolgt. Die Freiheit in der Luft tauscht man nur ungern mit dem festen Boden unter den Füßen. Wer hätte das gedacht?

Nun aber hinauf mit der Gondel auf den höchsten Punkt. Von der Terrasse des Restaurants auf 3.200 Meter Höhe sieht man bis hinüber zum Mont Blanc. Einerseits. Und andererseits in die Höhen des Parc National Des Ecrins. Wo sich der bizarre Barre des Ecrins zu einer Höhe von 4.102 Metern aufschwingt. Den Sonnenuntergang mit Blick in die weite Alpenwelt gekrönt von solchen Felsmonumenten zu erleben, das hat was. Einmal im Monat gipfelt dieses Erlebnis in einer Mondscheinsoirée. Begleitet von fetzigen Hardrock-, Techno- und Pop-Tanzrhythmen sowie einem opulenten nächtlichen Menü-Buffet. Nur vom eiskalten Mondlicht beleuchtet, geht’s gegen Mitternacht die frisch gewalzten Pisten 1.600 Meter bergab nach Les Deux Alpes. Während die einen unter Einsatz der eigenen Kraft herunterbrettern, lassen sich die anderen gemütlich von der Pistenraupe bringen. Den anschließenden Glühwein genießt man wieder miteinander.

Doch diese Pistenraupe in Luxusausführung – ein eleganter weißer Minibus auf Kettenwalze – hat noch viel mehr zu bieten. Bringt sie doch höher hinauf als die höchsten Lifte. Die „Croisière Blanche“, die „Weiße Kreuzfahrt“, ist eine vierzigminütige „Expedition“ mit diesem Fahrzeug über Regionen ewigen Eises zum Dome de la Lauze (3.568 m). Mit einem 360-Grad-Panorama! Sie startet bei der Eisgrotte, die ebenfalls eine Besichtigung wert ist. Dreißig Meter unter dem Gletscher gelegen, erstreckt sich diese über zwei Etagen. Kunstvoll sind Gänge und Skulpturen in die kristallglitzernde weiße Pracht hineingedrechselt. Der Künstler muss ein Dinosaurier-Liebhaber gewesen sein.

Schön und kalt ist sie – die Welt unter dem ewigen Eis. Zwei Grad unter null zeigt das große Thermometer inmitten von eisigen Schnörkeleien. Doch einmal an derlei Temperaturen gewöhnt, mag manch einen nun eine Übernachtung im Iglu locken. Am Pied-Moutet gruppieren sich unterhalb des Sesselliftes im Skigebiet ein paar solcher Schneehütten neben einer „Bergerie“, einer Holzhütte, die früher Unterstand für Tiere war. „Kanata“ hat der 37-jährige Stephan Delval das von ihm kreierte Ensemble genannt. Kanata ist Kanadisch und heißt Dorf, sagt Stephan. Fünfhundert Schneeblöcke brauchte er für ein Iglu. Die Wände sind fünfzig Zentimeter dick und lassen praktisch keine Geräusche ins Innere dringen. Hinein gelangt man durch die kleine Öffnung nur auf dem Bauch, rutschenderweise. Zum Schlafen mummelt man sich in einem Schlafsack ein, der bis zu 12 Minusgrade ausgleicht. Der liegt auf einer von Plastik umhüllten Matratze und auf Fellen. „Man schläft gut in den Iglus“, erzählt der naturverbundene junge Mann und lächelt: „Letzte Woche hatte ich einen Gast, der hat morgens bis 11 Uhr durchgeschlafen!“ Die Mahlzeiten nimmt man dann in der Hütte ein.

Wem der Aufstieg mittels Seilbahn nicht romantisch genug erscheint, der kann auch mit Schneeschuhen die fünfzig Meter bergauf stapfen. Schneeschuhwanderungen werden übrigens auf verschiedenen Wegen mit Führer angeboten, einmal die Woche sogar kostenlos. „Da nehmen dann manchmal sechzig Personen teil“, weiß Héléna Hospital von Les Deux Alpes Tourisme. Und dann gibt es auch noch das „Ruisseling“, das Wandern auf vereisten Flüssen. „Dreißig Prozent unserer Gäste sind keine Skifahrer“, sagt die Touristikerin. „Viele Familien kommen her, wo nur ein Elternteil die Pistenangebote nutzen kann. Oftmals sind sie zudem in Begleitung von Großeltern, die ebenfalls nicht am Skifahren interessiert sind. Wir wollen ihnen mehr bieten, als nur in der Sonne zu liegen oder zu shoppen.“ Ja, shoppen, das kann man auch in dem umtriebigen lang gestreckten Ort durch eine unzählige Vielfalt kleiner Läden. Sportgeschäfte, Boutiquen, Läden mit einheimischen Produkten. Allen voran der Génépy, jener Schnaps, der aus der Beifußpflanze gebrannt wird. Im Wintersportort Les Deux Alpes brauchen sich die Brettlosen nicht als Zaungäste zu fühlen.