durch katrins brille
: Die Süße des Zusammenhangs

Alan Rickman zieht die Augenbrauen hoch. Ein kleines Raunen, es wird recht still, und dann spricht der Hauptdarsteller des Eröffnungsfilms mit prononciert britischem Akzent die kühlen Sätze: „Ich bin geneigt zu glauben, die Schauspielerei sei ein Spiel, das wir alle gemeinsam spielen. Ich verstehe Ihre Frage nicht. So ist es: Tief in mir verstehe ich Ihre Frage nicht.“

Dabei war sie als schneidige Intervention gemeint: „Mr. Rickman“, so war der Journalist auf der Pressekonferenz zu „Snow Cake“ aufgestanden, „Sie sind es gewöhnt, anderen die Schau zu stehlen.“ Pause. „Wie fühlt es sich an, wenn Ihnen selbst nun durch Mrs. Sigourney Weaver die Schau gestohlen wird?“

Immerhin gestand Rickman auch, die Schauspielerei fiele ihm keinesfalls leicht – interessant! „Harrison Ford sagte mir einmal“, quoll die nächste vorgebliche Frage aus den Sitzreihen, „die Schauspielerei sei irrsinnseinfach, er lerne den Text, und dann ginge es auch schon los.“ Ob denn er, Rickman, sozusagen gegen diesen Widerstand, in Überwindung dieser – sagen wir – inneren Hürde, sich täglich neu in einer bewussten Entscheidung für die Schauspielerei …?

Aber man will nicht weinerlich sein, es ist eine hübsche Kohärenzerfahrung, wenn der Film längst vorüber ist und das Übermaß bleibt, wenn aus großen Umarmungen vor großen Sonnenuntergängen zu großen Klängen ein „Er war immer für mich da, wir haben immer versucht, füreinander da zu sein“ (Sigourney Weaver über Alan Rickman) wird – sich also gewissermaßen der Too-Muchism des Films im Realen fortsetzt. Immerhin weiß man jetzt, dass die Drehbuchautorin Angela Pell – deswegen der Plot – einen autistischen Sohn hat. Der Schnee spielt eine prominente Rolle, weil ihr Sohn nicht aufhört, ihn zu essen.

Zwei der vielen Botschaften in „Snow-Cake“ sind wirklich uneingeschränkt verbreitungswürdig. Botschaft eins: Spielt Comic-Scrabble! Begriffe wie „Yaamool“ erfinden und durch Beispielsätze legitimieren. Botschaft zwei: Seid ehrlich zueinander! Unvergessen Lindas taxierender Blick: „Mögen die Leute Sie, Alex? Nein? Das wundert mich nicht. Es ist Ihre Brille. Diese Brille lässt Sie verschlagen aussehen.“

Ersetzt man in diesen wunderbaren Sätzen den Begriff „Brille“ durch den Begriff „Schultertasche“, lässt sich mit jedem dritten Berlinale-Besucher eine zwanglose Plauderei beginnen. Doch: Obacht! Erstmals werden die schmucklosen Plastikumhänger auch im so genannten Berlinale-Shop verkauft. Vielleicht ist ihr Träger kein Cineast? Notfalls das „verschlagen“ durch „einfach zu fesch“ ersetzen. Wer sich schmeicheln lässt, hat die Tasche – Saisonfarbe: camel mit rotem Sponsorenaufdruck – zugekauft.

Heraus aus dem hitzigen Konferenzraum in die kühle Halle des Hyatt-Hotels. Die ersten Flaschen des geschmacklich überbordenden Erfrischungsgetränks Kaktusfeige-Kiwi sind geöffnet. Nackte Ratlosigkeit in den Gesichtern: Wie das horrible Gebräu diskret entsorgen? Nur der Freund der großen Zusammenhänge trinkt das Getränk zum Film mutig hinunter. Dann stößt er die Tür nach draußen auf, und – natürlich, natürlich: Über Berlin hat es zu schneien begonnen.

KATRIN KRUSE