Erregung am Bosporus

Die Fifa hat die Hauptakteure des Skandalspiels Türkei – Schweiz hart bestraft. Nach dem Urteil des Fußball-Weltverbandes kochen in Istanbul die Emotionen hoch. Gemäßigt reagieren die Schweizer

VON CHRISTIAN MEYER

„Dann hättet ihr uns auch gleich aufhängen können.“ Die Zeile der türkischen Zeitung Hürriyet spiegelt das Unverständnis wider, mit dem in der Türkei auf die harten Strafen für ihren Fußballverband reagiert wird. Der Weltverband Fifa hat das türkische Nationalteam wegen der Ausschreitungen nach dem WM-Relegationsspiel am 16. November in Istanbul für sechs Pflichtspiele aus den eigenen Stadien verbannt. Damit muss das Team alle sechs Heimspiele bei der EM-Qualifikation auf neutralem Boden und vor leeren Rängen spielen. Zudem muss der Verband 135.000 Euro Strafe zahlen.

Haluk Ulusoy, der Präsident des türkischen Fußballverbandes, nannte das Urteil inakzeptabel: „Es werden schwierige Zeiten auf uns zukommen. Ich bin schockiert.“ Das Strafmaß komme faktisch einem Ausschluss von der EM 2008 gleich. Die Sanktionen gegen Alpay Özalan, Emre Belozoglu und Serkan Balci erachte er ebenfalls als ungerecht. Die betroffenen Spieler treffe keine Schuld. Nach dem Relegationsspiel war die Schweizer Mannschaft, die sich soeben für die WM qualifiziert hatte, panisch in Richtung Kabinengang geflüchtet. Es kam zu Handgreiflichkeiten mit Ordnern und türkischen Spielern. Alpay und Emre waren maßgeblich beteiligt und wurden jetzt mit sechs Punktspielen Sperre bestraft.

Die gleiche Strafe erhielt auch der Schweizer Benjamin Huggel für einen Tritt, den er dem türkischen Kotrainer Mehmet Ozdilek verpasste. Er könnte bei der WM nur auflaufen, wenn die Schweiz ins Finale kommt. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er sogar bei der EM im eigenen Land nur Tribünengast sein wird, da die Schweiz als Gastgeber keine Qualifikationsspiele bestreitet. Huggel wollte sich zu dem Urteil nicht äußern. Sein Anwalt, Marco Balmelli, beurteilte das Strafmaß „als sehr, sehr hart“, wollte aber die Urteilsbegründung der Fifa abwarten.

Der türkische Kotrainer Mehmet Ozdilek wurde für ein komplettes Jahr gesperrt. Chefcoach Fatih Terim hingegen kam ungeschoren davon, was besonders von der Neuen Zürcher Zeitung anprangert wurde: „Vom wahren, wenn nicht einzigen Brunnenvergifter in dieser Sache ist im Urteil keine Rede“, heißt es in einem Kommentar.

Der türkische Sportminister Mehmet Ali Sahin sieht in der Strafe für den türkischen Verband eine „politische Entscheidung“, da Fifa-Präsident Sepp Blatter bereits unmittelbar nach dem Skandalspiel von schweren Sanktionen gesprochen hatte. Er kündigte Einspruch gegen das Urteil an: „Ich hoffe, dass dieser Fehler behoben wird.“ Zudem beschwerte er sich über den angeordneten Ausschluss der Öffentlichkeit von den Spielen: „Unsere Fans tragen keine Schuld an der Gewalt im Stadion.“ Zur Erinnerung: Die Fans hatten vor dem Relegationsspiel das Schweizer Team am Flughafen mit obszönen Plakaten empfangen, den Mannschaftsbus mit Eiern und Steinen beworfen und im Stadion die Schweizer Hymne mit einem gellenden Pfeifkonzert begleitet. Trotzdem gibt man sich in der Türkei weitgehend unschuldig. Hürriyet findet, die türkischen Fans hätten das Match „fair und ohne allzu übermütig zu werden verfolgt“.

Das „gnadenlose“ Urteil würde zu verstehen geben: „Euch wollen wir nicht.“ Auch Fanatik spielt die Vorfälle herunter: „Haben die denn überhaupt kein Gewissen? Was vorgefallen ist, war hässlich und falsch, aber so schwerwiegend denn doch nicht.“ Verständnisvoller zeigte sich der Vorsitzende des Türkischen Olympischen Komitees, Togay Bayatli: „Die Schweizer Mannschaft war unser Gast, und wir haben sie schlecht behandelt.“ Und selbst die Hürriyet rudert in einem Kommentar zurück. „Wir haben geerntet, was wir gesät haben. Tatsache ist, dass unser Image am Boden zerstört ist.“