Erst Mitgefühl, dann Pressefreiheit

Die USA reagierten im Karikaturenstreit voller Verständnis für die Muslime – und die demonstrierten nicht

Es ist inakzeptabel, in dieser Art religiösen Hass hervorzurufen

WASHINGTON taz ■ Anders als die europäischen Regierungen hat sich Washington im Karikaturenstreit klar auf die Seite der Muslime gestellt. Die Bush-Administration, nicht gerade bekannt für einfühlsamen Umgang mit der islamischen Welt, verurteilte die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen unmissverständlich als „beleidigend“. Antimuslimische Bilder seien ebenso inakzeptabel wie antiüdische oder antichristliche, präzisierte das US-Außenministerium. An die Adresse der Muslime gerichtet, erinnerte der Sprecher Sean McCormack daran, dass die freie Meinungsäußerung ein Kernstück der Demokratie sei und von den USA stets verteidigt werde. Zur Demokratie gehörten aber auch die Förderung von Verständnis und der Respekt von Minderheitenrechten. Es sei „nicht akzeptabel, in dieser Weise religiösen und ethnischen Hass hervorzurufen“.

Was die US-Stellungnahme von den europäischen unterscheidet, ist die Gewichtung der Argumente: erst Mitgefühl für die Betroffenen, dann Verweis auf die Pressefreiheit. Der Ton macht die Musik.

Dass es am vergangenen Wochenende unter den knapp sieben Millionen in den USA lebenden Muslimen nicht zu Protestaktionen kam, mag daher rühren, dass sich die US-Öffentlichkeit mit religiösen Gefühlen eindeutig besser auskennt als ihre europäischen Pendants. US-Präsident George Bush begab sich nur wenige Tage nach dem 11. September 2001 zu verschiedenen Moscheen in den USA, um den Muslimen zu versichern, dass er ihren Glauben weiterhin respektiere.

Diese anfängliche Besonnenheit wich im Laufe der Monate aber dann doch einem Generalverdacht gegen alles Islamische. Nicht wenige Community-Sprecher islamischer US-Gemeinden verwiesen deshalb darauf, dass die Gemeinden so ruhig blieben, rühre nicht daher, dass sie sich in ihrer Wahlheimat USA so integriert fühlten. Sondern weil sie Angst vor den Konsequenzen eines Protestes hätten. Osama Siblani, Herausgeber der Arab American News in Detroit, sagte: „Die Muslime sind sehr verärgert, aber sie haben auch Angst, das deutlich zu zeigen. Wir haben eine Regierung, die sagt, dass sie uns ausspioniert, das schüchtert die Leute ein.“

ADRIENNE WOLTERSDORF