Curling im Königswinkel

Wischen wie die Wahnsinnigen: Alle vier Jahre schlägt die Stunde der Curler. Der deutscheVerband schickt eine Mannschaft aus Füssen zu den Olympischen Winterspielen: das Team Kapp

„Wir machen keinen Putzfrauensport. Da stehen wir drüber“

AUS FÜSSEN ACHIM DREIS

Früher war Füssen eine Eishockeyhochburg, und als Andy Kapp und seine Freunde anfingen, Curling zu spielen, bekamen sie nur sonntagvormittags Eiszeiten, „wenn die anderen in der Kirche waren“. In diesem Jahr starten die Jungs vom Curling Club schon zum zweiten Mal bei den Winterspielen für Deutschland, während der einst ruhmreiche EV Füssen nur noch in der Eishockey-Oberliga rumrutscht.

Füssen hat sich also zu einer Curlinghochburg entwickelt. In den Allgäuer Königswinkel hat der Verband seine Geschäftsstelle verlegt. Hier wohnt Bundestrainer Dick Henderson, ein aus Kanada übergesiedelter Curling-Rentner. Und hier hat der Curlingverband die offizielle Olympia-Vorstellung des Teams durchgeführt. Im Mittelpunkt stehen die fünf Spieler: Oliver Axnick (35), Holger Höhne (35), Andreas Kempf (38) sowie die Brüder Uli (34) und Andy Kapp (38). Letztgenannter ist der Skip, Kopf der Mannschaft, der die Taktik bestimmt und dem Team seinen Namen gibt: Team Kapp. Daneben sitzen auf dem Podium der Bundestrainer, der Verbandspräsident und der Generalsekretär sowie der NOK-Sprecher, eine Sponsorin und natürlich der Bürgermeister. Insgesamt elf Personen. Im Publikum sechs Journalisten, zwei Fotografen, ein Kamerateam – und der Physiotherapeut. Macht zwölf. Man bleibt unter sich.

„Curling ist Curling, wo immer es gespielt wird“, sagt Trainer Henderson, der aus einem Land kommt, in dem angeblich eine Million Menschen curlen. In Deutschland sind es nach optimistischen Schätzungen 1.000. Dafür sind die Erfolge nicht schlecht. Frauen und Männer waren schon je sechsmal Europameister, die Frauen 1988 sogar Weltmeister und 1992 Olympiasieger, freilich nur im Demonstrationswettbewerb.

Angefangen hatte alles mit Charlie Kapp. Der Vater von Andy und Uli hatte Curling in Füssen populär gemacht und seine Söhne mit dem Virus infiziert, die 1981 und 82 mit dem Steineschieben begannen. Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre spielten bei deutschen Meisterschaften drei verschiedene Kapp-Teams gegeneinander. In Ulis Mannschaft damals bereits dabei: Oliver Axnick und Holger Höhne. 1992 folgte der Zusammenschluss der beiden Junioren-Teams, und schon stellten sich internationale Erfolge ein. Noch im gleichen Jahr gewannen Kapp & Co. die Europameisterschaft, der sie 1997 einen zweiten Titel folgen ließen. Außerdem holten sie schon vier WM-Medaillen, zuletzt 2005 eine bronzene.

Seit 1998 ist Curling offizieller Olympiawettbewerb, und seitdem rutscht es auch alle vier Jahre in den Fokus der Öffentlichkeit. Vom „Putzfrauensport“ ist dann oft die Rede, weil die Spieler immer wischen wie die Wahnsinnigen, wenn der Stein nicht schnell genug übers Eis schlittert. „Früher waren wir da ein bisschen angegriffen“, sagt Holger Höhne, ein ehemaliger Eishockeyspieler, „aber heute stehen wir da drüber. Jeder, der das sagt, soll mal aufs Eis gehen, der wird schnell sehen: Wir machen keinen Putzfrauensport.“

Höhne ist selbstständiger Optiker, führt in der Füssener Fußgängerzone ein Geschäft. Auch alle anderen sind voll berufstätig, treiben ihren Sport als reines Hobby. Oliver Axnick kommt deshalb extra jeden Freitag aus Zürich angereist, um mit seinen alten Freunden zu trainieren, die er schon aus Schulzeiten kennt. Uli Kapp und Andreas Kempf pendeln von München ins Allgäu. Andy Kapp ist vor Ort, betreibt passenderweise einen Großhandel für Tiefkühlkost.

Es ist eine Besonderheit des Curlings, dass eingespielte Vereinsteams die Länder bei Meisterschaften vertreten. Deshalb werden im Vorfeld nationale Qualifikationsturniere gespielt. In dieser Saison setzten sich die Füssener gegen ihre Konkurrenz aus Schwenningen, Hamburg und Oberstdorf durch und buchten so den Zyklus WM, EM 2005 sowie Olympia.

„An jedem Stein ist jeder beteiligt“, erklärt Axnick das Geheimnis der verschworenen Gemeinschaft: „Der Skip, der im House steht und anzeigt, wohin gespielt werden muss. Die beiden Wischer, die den Stein auf seinem Weg zum Ziel begleiten, und schließlich der, der den Stein spielt.“ Der gibt dem knapp 20 Kilo schweren Stein aus schottischem Granit übrigens einen kontrollierten Dreh mit auf den Weg, einen so genannten Curl, daher der Name. Und da jeder Spieler zwei Steine spielen muss, muss auch jeder mal jede Position einnehmen.

1998 in Nagano war das Team Kapp nach vorangegangenen Erfolgen (WM-Vize und Europameister) nur Achter geworden. 2002 haben sie die interne Qualifikation verpasst. Diesmal rechnen sie mindestens mit Platz sechs, wenn es gut läuft, ist Bronze drin. Titelfavorit in Pinerolo ist Rekordweltmeister Kanada, gute Chancen haben das Curling-Mutterland Schottland sowie Titelverteidiger und Europameister Norwegen.

Eine Partie wird über zehn „Ends“ gespielt und kann schon mal zweieinhalb Stunden dauern. Zehn Teams sind am Start, der Modus heißt: jeder gegen jeden. Danach folgen Tiebreak, Halbfinale und Finale. Es ist also ein langer Weg bis zum Ziel. Aber es ist ja ein Hobby.