Es liegt ein lieblich Land…

Früher, als die Schlagbäume an den Grenzen nicht dauernd geöffnet waren fuhren die Menschen aus Flensburg oder Schleswig rüber nach Dänemark, um Eis mit Schokoküssen zu essen. Heute ist das Königreich das gelobte Land für deutsche Pendler

von Esther Geißlinger

Grenzanlagen in vereinten Europa haben etwas Gespenstisches: Die Häuschen der Grenzer sind noch da, die Schilder, die langsame Fahrt befehlen. Aber in den Häuschen sitzt niemand mehr, und die meisten Autofahrer nehmen nur noch kurz den Fuß vom Gas. Die Autobahn geht jenseits der Anlage weiter –grüne Schilder statt blauer, andere Sprache, Licht auch am Tag benutzen.

Früher, als die Grenze zwischen Deutschland und Dänemark noch mehr wie eine aussah, fuhren die Menschen aus Flensburg oder Schleswig rüber, um Eis mit Schokoküssen drin oder giftig-rote Pölser zu essen. Auf der Gegenfahrbahn kamen Leute aus Sonderburg und Apenrade, um Bier und Benzin zu kaufen – der ganz normale kleine Grenzverkehr. Heute fahren die Deutschen nach Dänemark, um zu arbeiten.

Denn Dänemark hat ein Problem: Es gibt viel zu tun und zu wenig Arbeitskräfte. Fast täglich berichten die dänischen Zeitungen über die Job- Not, und wer im Reich der Königin arbeitslos wird, kann unter mehreren Angeboten auswählen. Was liegt näher, als über die Grenze zu schauen? Vieles: „In den ersten Jahren haben wir nur Kontakte aufgebaut“, sagt Peter Hansen. „Es gab viele Ressentiments – bis hin zu Morddrohungen. Denn die Geschichte, vor allem der Zweite Weltkrieg, sind noch nicht vergessen.“

Hansen sitzt in einem futuristisch anmutenden Gebäude kurz hinter der ersten Autobahnabfahrt auf dänischer Seite – hier ist das „Infocenter Grenze“ untergebracht, zusammen mit dem Regions-Kontor der Region Sonderjylland-Schleswig. Nicht, dass ihnen das Haus gehörte: Nur einige wenige Büros haben die Mitarbeiter gemietet. 1997 schlossen sich der nördlichste Teil Deutschlands und der südlichste Teil Dänemarks zu einer europäischen Region zusammen, das Kontor sorgt dafür, dass gemeinsame Initiativen gebündelt und Projekte umgesetzt werden. Das Infocenter ist eines davon: Es ist für viele Pendler und solche, die es werden wollen, die erste Anlaufstelle.

„Einige halten Dänemark inzwischen für das gelobte Land, in dem Milch und Honig die Straßen runterfließen“, sagt Hansen. „Ob es das wirklich ist, muss jeder für sich entscheiden.“ Genaue Zahlen über die Pendler gibt es nicht – 2.500 waren es im Jahr 2001, heute dürften es rund 4.000 sein, überwiegend Deutsche, die nach Dänemark fahren. Als Pendler gilt auch, wer unter der Woche im Ausland lebt und nur am Wochenende zur Familie zurückkehrt. Und Lastwagenfahrer, die in Niedersachsen die Trucks aus dem Norden übernehmen, nach Spanien weiterfahren, nach Niedersachsen zurückkehren – mit einem dänischen Arbeitsvertrag. „Hochinteressante Gruppe“, sagt Hansen.

Zu ihm kommen die Problemfälle. Und davon gibt es viele. Etwa den Deutschen, der 28 Jahre in Dänemark arbeitete, aber die Sprache nicht beherrschte. „Dänemark hatte die Witwenrente abgeschafft, das hatte er nicht mitgekriegt. Er starb, die Frau lebt heute von Sozialhilfe.“ Oder denjenigen, der seit 20 Jahren in zwei Staaten Steuern bezahlte – das Geld war verloren. Und diejenigen, die nicht kapieren, dass der Chef trotzdem der Chef ist, auch wenn er sich duzen lässt: „Ein Job kann schnell wieder weg sein. Da haben die Dänen eine andere Mentalität.“

Durchaus nicht alle Branchen boomen. Zurzeit sind vor allem Menschen mit Bauberufen gefragt, außerdem Fachärzte und Fachpflegepersonal. „Und es gibt viele, viele Nischen“, weiß Hansen. Ungelernte Kräfte haben allerdings kaum Chancen: Auch in Dänemark gibt es eine Sockelarbeitslosigkeit. Sind einfache Jobs zu besetzen, haben Einheimische Vorrang. Eine Gruppe profitiere besonders, meint Hansen: „Die Anwälte und Steuerberater in Flensburg.“ Denn das Leben zwischen zwei Staaten erfordert viel Papierkram, egal ob es um Arbeitslosenversicherung, Rente, Steuern oder Krankenkasse geht.

Das Infocenter kann nicht in allen Fragen helfen, es vermittelt an Fachstellen weiter, an Arbeitsvermittler, Juristen oder Gewerkschaften. “Wir sprechen mit allen“, sagt Hansen. Das neutrale Büro an der Grenze hat inzwischen einen guten Ruf. Ob es erhalten bleibt, ist allerdings unklar: Das mit EU-Mitteln geförderte Projekt läuft nach drei Jahren aus. Klar ist: „Der Bedarf ist da. 1.000 Beratungen sollten wir machen – jetzt, nach der Hälfte der Zeit, haben wir bereits 2.500 gemacht. Wir werden überrannt.“