Neue Versprechen für Afghanistan

Auf einer zweitägigen internationalen Konferenz in London soll ein Entwicklungspaket für die Krisenregion am Hindukusch verabschiedet werden. Die Weltbank sieht in der Regierung in Kabul künftig den ersten Adressaten für Hilfsgelder

Afghanistans Übergang zu Frieden und Stabilität ist noch nicht gesichert

AUS LONDON SVEN HANSEN

Mit neuen Hilfsversprechen und Lob über das bisher Erreichte hat gestern in London eine internationale Afghanistan-Konferenz begonnen. Vertreter von knapp 70 Staaten und der UNO vereinbarten einen so genannten Afghanistan-Pakt („Compact“), der konkrete Schritte für die Entwicklung am Hindukusch vorsieht.

„Afghanistans Übergang zu Frieden und Stabilität ist noch nicht gesichert“, heißt es in dem Pakt. Diese Sorge teilten gestern zahlreiche Redner und forderten, dass die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft verstärkt werden müssten. So sagte der gastgebende britische Premierminister Tony Blair, Afghanistan bleibe vom Terrorismus bedroht. US-Außenministerin Condoleezza Rice sprach von einer „strategischen Partnerschaft“ ihres Landes mit Afghanistan. Die USA würden nie wieder den Fehler machen, die Region zu vernachlässigen. Sie kündigte weitere 1,1 Milliarden US-Dollar Hilfe für das nächste Jahr an, zusätzlich zu bereits aufgebrachten rund sechs Milliarden.

Die zweitägige Konferenz will alle Beteiligten motivieren und für weiteres Engagement werben. Der Pakt sieht Maßnahmen in den Bereichen Sicherheit, Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sowie wirtschaftliche und soziale Entwicklung vor. Als Querschnittsaufgabe wird die Bekämpfung des Drogenanbaus und -handels gesehen. Geplant ist ein hartes Durchgreifen, doch bleiben die Details unklar. Denn über das beste Rezept herrscht Uneinigkeit. So sind die USA für ein Besprühen der Opiumfelder mit Pflanzengiften aus der Luft. Afghanistan lehnt das ab, da dies auch angrenzende Felder treffen würde. Präsident Hamid Karsai warnte gestern davor, bei der Drogenbekämpfung die Situation der Bauern und die Stabilität des Landes nicht außer Acht zu lassen.

Der Pakt soll eine neue Phase einleiten, nachdem mit den Parlamentswahlen im vergangenen September der bei der Bonner Afghanistan-Konferenz vom Dezember 2001 beschlossene Übergangsprozess beendet wurde. Jetzt sollen die Afghanen selbst mehr Verantwortung übernehmen oder, wie es Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ausdrückte: Aus dem „Bonn-Prozess“ wird jetzt ein „Kabul-Prozess“.

Doch in letzter Zeit ist im Süden und Osten des Landes die Gewalt Besorgnis erregend angestiegen. Mit 1.600 Toten 2005 erreichte die Zahl der Opfer von Anschlägen und Kämpfen vier Jahre nach dem Sturz der Taliban einen Höchststand. Beunruhigend ist vor allem der starke Anstieg der Selbstmordattentate. Nach UN-Angaben gab es 19 in den vergangenen 12 Monaten, davon 13 im letzten Vierteljahr.

Die Nato will die von ihr geführte internationale Friedenstruppe Isaf von 9.000 auf 15.000 Soldaten aufstocken. Die Verstärkung soll vor allem aus Großbritannien, Kanada und den Niederlanden kommen. Erstmals sollen Nato-Trupppen im unruhigen Süden stationiert werden. Dort führten bisher die USA den Antiterrorkrieg. Sie wollen ihre Soldaten von 19.000 auf 16.500 reduzieren. Die Nato-Pläne sorgen vor allem in den Niederlanden für Widerstand, wo die Zustimmung des Parlaments nicht sicher ist.

In dem Pakt und ihrem in London präsentierten Entwicklungsplan verpflichtet sich die Regierung in Kabul, ihre Armee bis 2010 von 33.000 auf 70.000 Mann und die Zahl der Polizisten auf 62.000 aufzustocken. Vierzig Prozent aller Dörfer sollen an das Straßennetz und 65 Prozent der städtischen sowie 25 Prozent der ländlichen Haushalte an das Elektrizitätsnetz angeschlossen werden.

Die Regierung strebt bis 2010 ein jährliches Wirtschaftswachstum von 10 Prozent an. Die Zahl der Afghanen, die von weniger als umgerechnet einem Dollar am Tag leben, soll um jährlich drei Prozent sinken. Zurzeit leben 53 Prozent der Bevölkerung von einem Dollar am Tag.

Die Finanzierung des afghanischen Staatshaushalts durch eigene Einnahmen soll von 4,5 Prozent des Bruttosozialprodukts auf 8 Prozent steigen. Bisher werden nur 7 Prozent des Budgets selbst erwirtschaftet, der Rest ist ausländische Hilfe.

Deren Wirkung ist jedoch umstritten. Kurz vor der Konferenz kam die Weltbank in einem Bericht zu dem Ergebnis, dass die Hilfe die Autorität der afghanischen Regierung und ihre Fähigkeiten unterminiert statt zu stärken. „Grob drei Viertel der gesamten Hilfe für Afghanistan wurde an der Regierung vorbei geleitet“, sagt der Koautor, Willliam Byrd. Die Bank, die sonst für den Abbau von Staatsbürokratien und für Privatisierungen kämpft, kritisiert in Afghanistan, dass Privatfirmen und Nichtregierungsorganisationen zu viel Hilfe bekamen. In dem Bericht heißt es weiter, dass es preiswerter wäre, Hilfe durch die Regierung in Kabul zu kanalisieren, weil dann etwa Kosten für die teuren privaten Sicherheitsdienste entfielen. Während Karsai fordert, künftige Mittel nur noch an die Regierung zu zahlen, fordert der Pakt gar zu ungebundener Hilfe auf.