Hindu Times

DAS SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER

Man kann zwischen 19 Mantras wählen, die aus den Lautsprechern quäken: Om nama Shivaja namaham …

Sangeets Restaurant ist abgebrannt. Gerade noch hat er die Fische fürs Mittagessen vor dem Tandoori-Ofen ausgebreitet, fünf Minuten später liegen sie schon, etwas sehr schnell und etwas sehr heiß gegrillt, zwischen den verkohlten Resten von Holztischen, Bambusstangen und unförmig geschmolzenen Stühlen und Tellern aus Plastik. Ein Fest für die Krähen und Adler, eine Katastrophe für Sangeet und seine Familie. Und während die großen Vögel mit triumphierenden Schreien die Beute aus der Asche klauben, starrt Sangeet immer noch ungläubig auf die Reste seiner Existenz.

Auch die kleine Nähbude von Sangeets Vater war einmal; der Stand, an dem die Familie aus Karnataka ihre Decken, Sandalen und Kleider verkaufte, und der Verschlag des Nepali mit Lampen aus Stoff und den T-Shirts, auf denen unter 5 gestickten Yaks „Yak Yak Yak Yak Yak“ steht, all diese Geschäfte sind in ganz kurzer Zeit zerstört. Zurück blieben eine unbrauchbar gewordene Singer Nähmaschine, rajasthanische Patchworkdecken mit Brandlöchern, einstmals glitzernde Pantöffelchen, nun vom Feuer verfärbt und von Löschwasser verformt, und jede Menge Gerüchte.

Jameer erzählt, der Nepali habe seinem (fremden!) Gott gehuldigt, und bei der Puja mit Räucherwerk und Öllampe habe der (fremde!) Gott sofort Feuer gefangen.

Eine Deutsche, die den Nepali in ihr Herz geschlossen hat, weil er sich nie um Kundschaft gekümmert, aber umso intensiver mit Hilfe eines Buchs Hindi gelernt hat, sagt: Aber Buddhisten machen doch gar keine Puja und der Nepali hatte in seinem Winzverschlag gar keinen Platz für einen Gott. Aber in einem Land, dessen größter Exportschlager die Spiritualität ist, hat Gott selbst in der kleinsten Hütte Platz. Der Nepali hingegen hat nicht mal eine Hütte mehr und muss diesen Tag bei der Polizei verbringen.

In der Zwischenzeit verbreitet und entwickelt sich die verruchte Tat wie Hurrikan „Katrina“. Der Chef des Nepali, auch ein Nepali, habe am Tag zuvor einen Laden woanders gemietet und schon seine Nähmaschine dort hingebracht. Weil er keine zwei Mieten bezahlen wollte, hat er das Feuer gelegt. Wenn man fragt, warum macht er das am helllichten Tag, heißt es: Vielleicht hat der erste Nepali hinter dem Laden sonst was gekocht. Ein dritter Nepali, Kellner im hiesigen Pizzalokal (das dem zweiten Nepali gehört, der seinen eigenen Stand abgefackelt haben soll), sagt, aber warum soll er kochen? Wir alle essen immer zusammen hier.

Familie Sangeet aus Karnataka sitzt drei Tage als stumme Gruppe auf den schwarzen Quadratmetern ihres ehemaligen Ladens, und Sangeets Familie und die Angestellten seines Restaurants haben sich vor ihrem einstmals für gute Küche und moderate Preise bekannten Restaurant niedergelassen. Alle reden über den ersten Nepali, der nicht mehr zu sehen ist. Sie sagen: Wenn wir nicht versucht hätten, das Feuer bei ihm zu löschen, hätten wir unsere eigenen Sachen retten können. Vor allem das Geld. Sangeet wollte an diesem Tag zur Bank gehen, eine Rate seines Kredits bezahlen, den er nach den Tsunami-Schäden aufnehmen musste. In dem Dorf am Strand wurde nur die Reihe, die jetzt abgebrannt ist, letztes Jahr vom Tsunami getroffen.

Die Regierung hatte umgehend Hilfe versprochen. Die ist nie angekommen. Und die Papiere, die beweisen, dass die Regierung Hilfe versprochen hat, sind jetzt verbrannt. Umgerechnet 500 Euro sind mitverbrannt, die Sangeet zur Bank bringen wollte. Die 20-köpfige Familie aus Karnataka hat ihren gesamten kleinen Besitz und 1.000 Euro verloren. Der Laden war ihr Zuhause in Kerala. Auf den Decken, die sie tagsüber verkauften, schliefen sie nachts. Der nepalesische Kellner sagt: Unser Freund hat nicht mal mehr Kleidung, und alle seine Papiere sind verbrannt. Die Familie aus Karnataka hatte vermutlich gar keine Papiere.

Amerikanische und australische junge Traveller haben sofort Spendenboxen gebaut: viereckige Kisten mit einem Geldeinwurfschlitz, wie sie in den Tempeln vor den Göttern stehen. Davor ein Schild: FIRE! Please help! Foreign currency wanted!!!

Es sind 25.000 Rupien zusammengekommen. Die Familie aus Karnataka klagt später, sie habe nur 5.000 Rupien davon bekommen. Nach drei Tagen sitzen sie nicht mehr wie ein stummes Mahnmal auf dem Aschensand in ihrem Viereck. Sie haben bei einem weiteren Familienmitglied Platz gefunden, und nun schlafen dort eben doppelt so viele wie vorher. Der Nepali ist nach 12 Stunden auf der Polizei entlassen worden und ward vorerst nicht mehr gesehen. Die kaschmirischen Händler gründen eine Vereinigung mit einem Präsidenten, um zu helfen. Sangeet hat nach diversen Zusammenbrüchen seiner Mutter und seiner schwangeren Frau und viel gutem Zureden seitens der Touristen mit dem Wiederaufbau angefangen. Sein Vermieter reduziert für die Zeit ohne Einnahmen die Miete. Alle sind glücklich. Einigermaßen.

Die Regierung hatte nach dem Tsunami umgehend Hilfe versprochen. Die ist nie angekommen

Zwei Tage lang wird aufgeräumt wie verrückt. Alle Helfer zeigen stolz die kohleschwarzen Hände, jeder klopft jedem auf die Schulter. Auf den Nepali wird nur noch höchstens zweimal täglich geschimpft. Vom fremden Gott ist nicht mehr die Rede. Plötzlich kommt die Polizei. Eine einstweilige Verfügung, Baustopp. Irgendjemand hat gegen den Wiederaufbau protestiert, keiner weiß, wer. Der Nepali kann es nicht gewesen sein, Ausländer dürfen keine einstweilige Verfügung veranlassen. Vielleicht der Vermieter? Er hatte hinter Sangeets Restaurant kleine Cottages gebaut. Die haben jetzt Meerblick und könnten doppelt so teuer vermietet werden. Allerdings nur, solange nicht wieder was hingebaut wird. Der Vermieter hat allerdings keinen fremden Gott. Er ist Hindu wie Sangeet.

Innerhalb von sieben Tagen wird geprüft und dann entschieden. Es ist Hauptsaison, jeder Tag zählt, Sangeet hat geplant, in einer Woche wieder aufzumachen. Nach nur zwei Tagen muss die Arbeit erneut ruhen, und es darf wieder gemutmaßt werden. Der Kellner Viju hat indessen eine kleine Mantramaschine gekauft, die man einfach in eine Steckdose steckt. Steckdosen gibt es immer irgendwo. Man kann zwischen 19 Mantras auswählen, die aus den Lautsprechern quäken: Om nama Shivaja namaham, Gaia tri mantram, Om Sri Krishna namaham – morgens und abends werden jetzt mindestens drei abgespielt, und Viju sitzt mit leuchtenden Augen davor. Holy Shit!

Nach vier Tagen wird die Arbeit wieder aufgenommen. Sangeet hat irgendwem aus der Kommune Geld gegeben, damit ist die Sache erledigt. Es werden Palmenstämme zum Strand gerollt, um ein neues Lokal aufzubauen. Alle sind zum wiederholten Mal stolz und glücklich. Am nächsten Tag ist wieder Ende. Die Kommune möchte doch lieber Parkplätze statt eines neuen Restaurants. Das Gerücht sagt, es stecken die Leute des Ayurveda Resorts dahinter, die jetzt auch ein Restaurant planen. Das Resort gehört einem Deutschen und einem Kaschmirer, die beten auch zu fremden Göttern. Nein, es sind dann doch die regierenden Kommunisten, die dem Vermieter eins auswischen wollen. Der ist Mitglied der Kongresspartei. Als die dran waren, haben sie die Kommunisten geärgert, jetzt ärgern die zurück. Zu wem beten Kommunisten?