Trauma-Grüße vom Hindukusch

FERNSEHEN Am Sonntag ist wieder mal Radio Bremen dran: Sein Tatort „Er wird töten“ ist ein komplexes Kammerspiel, dessen gesellschaftliche Dimensionen unaufdringlich die Handlung grundieren

Wie nebenbei wird die bundesdeutsche Sofalandschaft mit Afghanistan konfrontiert

Also, hätte man das nun erwartet? Wer da mal wieder als Täter rauskommt! Näh, wirklich: Ist schon gut gemacht, der „Tatort“, den Radio Bremen Sonntagabend ins Hauptprogramm einspeist. Das Beste allerdings: Die Täterfrage ist gar nicht das Entscheidende. Und das will für einen Krimi schon was heißen.

Statt eines klassischen „Whodunnit“, wie man in der Branche so sagt, statt eines traditionell dramatisierten Werwarswohl-Krimis also, hat Christian Jeltsch ein komplexes Kammerspiel konstruiert. Ein Beziehungspsychogramm, in dem das vom Mordfall unabhängige Gefühlsgeflecht der Beteiligten im Vordergrund steht, ihre jeweiligen Einsam- und Ängstlichkeiten.

Einen unpolitischen „Tatort“ habe er diesmal geschrieben, sagt Jeltsch, der mit dem Mobilfunk-Fall „Strahlende Zukunft“ oder dem Flüchtlingsdrama „Der illegale Tod“ schon gesellschaftlich engagiertere „Tatorte“ für Radio Bremen verfasst hat. Und dennoch kommt aktuelle Zeitgeschichte diesmal als die psychologische Conditio des Handelns durchaus ins Spiel: Hauptkommissar Stedefreund ist aus Afghanistan zurück, offenbar teiltraumatisiert – jedenfalls gar nicht amüsiert über scherzhafte Fragen seiner Kollegin Inga Lürsen à la: „Und? Kuscht der Hindu am Hindukusch vor der deutschen Polizei“?

Postel wiederum verwitwet gleich zu Beginn: Ihr erst im vorigen Bremen-„Tatort“ eingeführter Lebensgefährte Leo Uljanoff ist der erste, an dem sich die titelgebende Vorhersage der ins Polizeipräsidium geflüchteten Frau erfüllt: „Er wird töten.“ Uljanoff stirbt in Zeitlupe und Mehrfachloops – ein Stilmittel, auf das Regisseur Florian Baxmeier immer wieder zurückgreift, um die dramatischen Momente sowohl auszukosten als auch zu poetisieren.

Wobei freilich von einer Poetik der Grauens die Rede sein muss. Denn was Stedefreund in Afghanistan erlebt hat, ist entsetzlich – und dass dieser Eindruck am Sonntagabend die bundesrepublikanische Sofalandschaft erreicht, ist einer der Verdienste dieses „Tatorts“. Auch die systematische Überlastung von Krankenhaus-Ärzten wird miterzählt.

Eine pädagogische eher verheerende Wirkung entfaltet der Krimi allerdings in Bezug auf die Frage, was Polizisten dürfen – und was nicht. Stedefreunds regelmäßige Übergriffigkeit gegenüber Tatverdächtigen erscheint nicht nur als „normal“, sondern, weil Stedefreund Sympathieträger ist, als angebracht und okay.

Außerdem leidet auch dieser „Tatort“ unter vereinzelt völlig unlogischen Handlungs-Abläufen. Etwa, wenn die bedrohte Frau aus Sicherheits- und Beruhigungsgründen vom Präsidium in ihr Haus gebracht wird – an dessen Wänden blutrot prangt: „Ich töte Dich!“ Ach ja: Das mit dem „Ich“ war ja noch offen. Derartige Location-Wechsel auf Kosten der Verlaufslogik machen aber keineswegs zunichte, dass die Bremer mit diesem „Tatort“ die ARD-Latte hoch legen.  HB

„Er wird töten“: Sonntag, 20.15 Uhr, ARD