Nachruf auf Marieluise Christadler
: Eine charmante Linksliberale

Manchmal sind es Äußerlichkeiten, die sich ins Gedächtnis einbrennen. Als eine der profundesten Kennerinnen Frankreichs war Marieluise Christadler im Wissenschaftsbetrieb über die Grenzen der Bundesrepublik hinweg hoch angesehen. Mit den von ihr zum deutsch-französischen Verhältnis verfassten Aufsätzen oder herausgegeben Büchern können Regale gefüllt werden. Und doch ist es jene kuriose Erscheinung, mit der die Professorin seit ihrer Berufung 1979 an die Duisburger Universität, die damals noch eine Integrierte Gesamthochschule war, vielen in Erinnerung bleiben dürfte: Wie die kleine zierliche Frau, die ihre langen ergrauten Haare selbstbewusst offen trug, stets elegant gekleidet und bisweilen im Pelzmantel, aber immer in Eile allmorgendlich auf dem Fahrrad zur Hochschule hetzte.

Es dürfte der am 27. März 1934 als Marieluise Lex geborenen Christadler kein Unrecht zufügen, sie als eine aufrechte Linksliberale zu bezeichnen. Zu ihrem Freiheitsbegriff gehörte dabei, dass sie – die sich im übrigen immer bewusst war, dass sie als Frau besser als ihre männlichen Kollegen sein musste – nicht bereit war, sich Kontaktverbote auferlegen zu lassen. Entsprechend pflegte die in ihrem Habitus großbürgerlich, beinahe schon aristokratisch wirkende und doch unkonventionelle Wissenschaftlerin den akademischen Diskurs auch mit denjenigen, deren Denken sie entschieden ablehnte. So schrieb die durch und durch humanistisch, antirassistisch und antifaschistisch eingestellte Christadler nicht nur über französische und deutsche Rechtsintellektuelle, sondern setzte sich auch persönlich mit Leuten wie Alain de Benoist oder Armin Mohler auseinander. Mohler bezeichnete sie deswegen einmal als „Meistermodell einer Liberalen mit Charme“. Ein Teil der Linken reagierte darauf hingegen mit zum Teil heftigen Anfeindungen.

In seinem Glückwunsch zu ihrem 60. Geburtstag prophezeite ihr der deutsch-französische Soziologe und Publizist Alfred Grosser 1994, sie werde noch weitere Jahrzehnte „gegen die Dummheit und gegen die Mächtigen (was oft derselbe Kampf ist!)“ streiten. Es sollte anders kommen. Im folgenden Jahr erlitt Christadler ihren ersten Schlaganfall, verbunden mit einem zeitweiligen Sprachverlust. Es folgten weitere schwere Schicksalsschläge: ein Herzinfarkt, eine Darmkrebsoperation und dann im Mai 2001 der zweite Schlaganfall, verbunden mit einer halbseitigen Lähmung. Sie litt sehr darunter, seitdem nicht mehr wissenschaftlich tätig sein zu können.

Bereits am 16. Januar ist Marieluise Christadler im Alter von 71 Jahren gestorben. Sie wird heute an ihrem letzten Wohnort in Karben nahe Frankfurt beigesetzt.

Pascal Beucker