Mimikry als Begleiter

„Imago Mundi“ (Das Bild der Welt) nennt der Künstler Lothar Baumgarten seine Ausstellung in Kleve. Eine große retrospektive Schau, die die Strukturen westlicher Logik und Repräsentation hinterfragt

AUS KLEVEKATJA BEHRENS

Fürst Johann Moritz von Nassau-Siegen-Dillenburg, ab 1645 Statthalter von Kleve, hat mit seiner kolonialen Mission in Südamerika einen wesentlichen Beitrag zur wissenschaftlichen und kulturellen Wahrnehmung Brasiliens geleistet. Im Auftrag der holländischen Westindischen Kompanie war er 1637 in Recife, Pernambuco gelandet, die von ihm mitgebrachten Künstler, Gelehrten und Forscher lieferten Europa vermutlich die ersten wissenschaftlichen Mitteilungen über das Land und seine Bevölkerung. Und mit ihnen ein Raster für die Wahrnehmung fremder Kulturen. Der niederländische Maler Albert Eckhout, der den Gouverneur auf seiner Reise begleitete, schuf umfangreiche Serien zu den Einwohnern sowie zu Flora und Fauna des Landes. Eckhouts 80 Bilder brasilianischer Vögel –exotische Tiere in heimischer Landschaft – sind als Deckengemälde in Dresden erhalten.

Sie bilden das Material für die weitreichende Auseinandersetzung des Künstlers Lothar Baumgarten mit den imperialen Gesten und „Wahrheiten“, die als objektive Wissenschaft auch heute noch gerne missverstanden werden. In Lichtbildprojektionen, Landschaftsfotografien, Zeichnungen, Installationen und Wandmalerei setzt der Beuys-Schüler im Museum Kurhaus Kleve seine ethnologische Neugier in ethnographische Entzifferung westlich geprägter Denk- und Verhaltensmuster um. Die symbolische Ordnung kultureller Systeme, die Codes der Repräsentation werden in seinen Arbeiten allerdings oft erst auf den zweiten Blick erkennbar. Der Künstler möchte es vermeiden, allzu offen Kritik zu üben, anzuprangern oder auf Missstände hinzudeuten. Dass er dies trotzdem tut, entschuldigt er freundlich mit dem Hinweis darauf, das er lediglich das zeige, was da ist: Die Indio-Goldwäscher im Regenwald, die bei ihrer Arbeit die Flüsse mit Quecksilber verseuchen, sind auch ohne Hintergrundwissen als Handlanger westlicher Unternehmen zu identifizieren. Und dass es vor 20 oder 25 Jahren hier noch anders ausgesehen hat, glaubt man dem reisenden Fotografen gern.

In der einleuchtenden Architektur, die der Typograph Walter Nikkels für das Museum geschaffen hat, haben die Werke nicht nur genügend Raum, sich zu entfalten, sondern bilden ebenso eine kongeniale Folie. Baumgarten, der seine Werke häufig in Auseinandersetzung mit großer Architektur positioniert, so in Bauten von Mies van der Rohe oder Frank Lloyd Wrigth, ist es auch in Kleve gelungen, die lichten klaren Räume mit lichten klaren Einschreibungen zu würdigen. Etwa mit der Arbeit „Abgleich“, einem durchaus ironischen Kommentar zu den, für die kommerzielle Nutzung ersonnen, fiktiven Farbnamen.

Der Biennale- und vielmalige Documenta-Teilnehmer studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie. Seine künstlerische Karriere aber fand hauptsächlich in den USA. statt. Ein Grund, warum der international renommierte Künstler in Deutschland vergleichsweise wenig bekannt ist. Die Klever Ausstellung ist die erste umfassende Einzelausstellung hierzulande und ein grandioser Einblick in das Schaffen und Denken des Künstlers. Bezugnehmend auf die minimalistische Farbmuster-Karte, die der Weltkonzern Kodak als scheinbar neutrales fotografisches Hilfsmittel für Farbreproduktionen gedruckt hat, entwickelt der in der raumfüllenden Wandarbeit „Imago mundi – L‘autre et L‘ailleurs“ ein komplexes Bildkonzept aus sich einander überlagernden Bedeutungsschichten.

Das Kontrollinstrument von Kodak zur farblich möglichst identischen „Naturtreue“ dient als formale Vorlage für die großen Wandzeichnungen. Hier werden Gebrauchsanweisung und Empfehlung: „Print Your Own Color Patches“ befolgt, übererfüllt und in ihrer künstlerischen Neubesetzung letztlich in Frage gestellt. In die graphische Wandzeichnung schreibt der Künstler die Namen von vier Kontinenten: Afrika, Asien, Australien und Amerika, und stellt diesen die Namen europäischer Nationalstaaten gegenüber: England, Frankreich, Holland, Spanien, Portugal, Belgien, Deutschland und Italien. Die Sprache weist hier auf ihre eigene, herrschaftsstabilisierende Funktion und auf die historische Rolle der Kolonialmächte Europas hin, auf ihre Macht und ihren Einfluss über die kolonisierten Kontinente, indem sie unser historisches Wissen auf- und unser Gedächtnis und Gewissen anruft.

Museum Kurhaus Kleve Bis 14. Mai 2006Infos: 02821-75010