„Ministerien wären ohne Strom“

Palästinas Exwirtschaftsminister Mohammad Stayyeh warnt die EU und die USA vor der Einstellung ihrer Hilfen. Die Hamas-Regierung sei umgehbar. Merkel solle die Not der Palästinenser nicht ignorieren

taz: Herr Stayyeh, Bundeskanzlerin Merkel stellte der künftigen Regierung der Palästinenser drei Bedingungen. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Hamas darauf eingehen wird?

Mohammed Stayyeh: Die Hamas befindet sich in einem Dilemma. Sie hat selbst nicht mit dem Wahlsieg gerechnet und muss sich jetzt einerseits mit der internationalen Gemeinschaft auseinander setzen, auf der anderen Seite mit den Palästinensern. Die bisherigen Finanzhilfen aus dem Ausland hatten ein Ziel, nämlich den Friedensprozess voranzutreiben. Unglücklicherweise ist die Hamas natürlich nicht in der Lage, Friedensfragen zu behandeln. Das entscheidende ist jetzt, dass die Palästinenser nicht bestraft werden.

Aber wie könnte man die Palästinenser unterstützen und gleichzeitig sicherstellen, dass die Hamas nicht ihre Hand darauf legt?

Die Gelder für Entwicklungsprojekte gehen an die Pecdar (Palästinensische Wiederaufbaugesellschaft), die keine Regierungsinstitution ist. Die Kontrolle liegt in den Händen der lokalen Verwaltungen, die wiederum dem Präsidenten unterstehen. Die Spendernationen könnten also problemlos die Regierung der Hamas umgehen.

Angenommen, die USA und Europa halten trotzdem an ihren Bedingungen fest und stellen die Zahlungen ein. Was wären die Folgen?

Es wäre katastrophal. Wenn die derzeit rund 500 Millionen Dollar wegfallen, blieb den Ministerien nicht genug Geld, um die eigenen Stromrechnungen zu bezahlen. Sie müssten im Dunkeln arbeiten.

Exaußenminister Joschka Fischer genoss großes Vertrauen auf palästinensischer Seite. Was muss die jetzige bundesdeutsche Regierung tun, um es ihm gleichzutun.

Ich würde nicht sagen, dass Herr Fischer so besonderes Vertrauen bei den Palästinensern genoss. Kanzlerin Merkel würde ich raten, die Not der Palästinenser nicht zu ignorieren. Dabei geht es uns um finanzielle Unterstützung – aber nicht nur. Deutschland muss uns auch bei dem Kampf gegen die israelische Besatzung helfen. Die Hamas hat die Wahlen aufgrund von Israels Maßnahmen gewonnen. Die Israelis haben ein Jahr nach der Wahl von Palästinenserpräsident Abbas vergehen lassen, ohne uns einen Schritt näher zu kommen.

Angenommen die beiden Konfliktparteien hier finden trotz der schlechten Vorzeichen doch noch einen Weg zueinander. Könnte dann der Nahe Osten zum Modell für Konfliktlösungen weltweit werden, vor allem zwischen dem Westen und dem Islam?

Unsere Situation ist nicht vergleichbar. Was wir brauchen, ist die Möglichkeit, uns wirtschaftlich zu entwickeln. Im Moment droht uns nur noch mehr Armut, und Armut führt zur Radikalisierung. Wenn der Westen unsere Not ignoriert, dann treibt er die Palästinenser in die Gewalt, macht er die Palästinenser zu den Taliban des Nahen Ostens.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL