Staatsmann vor Studenten

ORTSTERMIN In Berlin hält Peer Steinbrück eine außenpolitische Grundsatzrede. Beim Thema Menschenrechte in Russland wird es kurz laut

BERLIN taz | Marvin Martin ist gespannt. Der 20 Jahre alte Geschichtsstudent ist an diesem Dienstag in den Hörsaal 1a der Freien Universität Berlin gekommen, um Peer Steinbrück zuzuhören. Dem Kanzlerkandidaten, sagt Martin, stehe er trotz SPD-Nähe skeptisch gegenüber, „er ist nicht mein Wunschkandidat“. Mal schauen, ob sich das in den nächsten zwei Stunden ändert.

„Welt im Wandel – Leitlinien sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik“ lautet der Titel von Steinbrücks Grundsatzrede. Gut ein Vierteljahr vor der Bundestagswahl muss der Kandidat mal raus aus der innenpolitischen, rein in die außenpolitische Expertise. Er sollte das können. Als Bundesfinanzminister der großen Koalition bis 2009 war seine politische Arbeit nur im europäischen und globalen Kontext durchsetzbar.

So nimmt es nicht wunder, dass Peer Steinbrück jeden Aspekt seiner Rede aus dem europäischen Fokus betrachtet. Ob Währungskrise, Vertrauenskrise, Osteuropa, Bürgerkrieg in Syrien oder das deutsch-französische Verhältnis – „Europapolitik ist Außen- und Sicherheitspolitik“, betont Steinbrück mehrfach. „Aber die Europahymne wird nicht mehr als Musik empfunden.“ Er vermisse bei Merkels Politik Solidarität mit Krisenstaaten wie Griechenland – „die wahrgenommene Politik ist die Realpolitik“.

Um den Krisenländern beim Wiederaufbau zu helfen, forderte Peer Steinbrück einen Marshallplan, finanziert aus der Finanztransaktionssteuer. Europa brauche 10 Milliarden Euro für die Förderung der Ausbildung in Europa. Außerdem einen bankenfinanzierten Fonds zum Auffangen strauchelnder Banken sowie den Abbau der neidvoll beobachteten deutschen Leistungsbilanzüberschüsse.

Beim Thema Menschenrechte sprach sich der Kanzlerkandidat, vergleichbar Willy Brandts außenpolitischer Devise vom „Wandel durch Annäherung“, für eine „enge Partnerschaft“ mit Moskau aus. Ein Gedanke, für den ihn später eine Studentin angriff. Die Situation in Russland habe doch erst die „Arschkriecherei“ des einstigen sozialdemokratischen Kanzlers Schröder bewirkt, schimpfte sie. Ein Student wiederum vermisste in Steinbrücks Rede die im Titel versprochene „sozialdemokratische“ Außenpolitik: „Ich habe das Gefühl, diese Rede hätte auch Angela Merkel halten können.“

Und Marvin Martin? Dem Geschichtsstudenten hat es gut gefallen. Vor allem Peer Steinbrücks historische Herangehensweise habe ihn überzeugt, sagt er. Und dass der SPD-Kanzlerkandidat „mehr Demut statt Überheblichkeit gezeigt hat“.

ANJA MAIER