mitschriften aus der letzten reihe
: Segen der Vielfalt oder Wie der Nahe Osten im HAU 1 verteidigt wurde

Im Foyer vom HAU 1 bricht um kurz vor halb neun Hektik aus. Das Middle-East-News-Festival läuft auf Hochtouren. Nur der Nahost-Experte Fred Halliday, der in zwei Minuten über die Gegensätze von westlicher und islamischer Kultur sprechen soll, ist spurlos verschwunden. Die Frau vom Organisationsteam ruft durch ihr Handy zur Suche nach einem korpulenten Riesen in den umliegenden Bars auf.

Aber da ist er ja. Pünktlich um halb neun betritt Halliday gemächlichen Schrittes die Bühne und lehnt seinen massigen Körper auf das Rednerpult. Wer seit über vierzig Jahren den Nahen Osten bereist, den bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Und so spricht er dann auch mit großer Gelassenheit und einem Englisch, das very British klingt, obwohl er gebürtiger Ire ist, über die Konflikte zwischen westlicher und islamischer Welt. Für seinen Vortrag bedarf es keiner großen Überzeugungsarbeit: Die Zuhörer lachen bei manchen Pointen so laut, dass sie gleich noch bezeugen können, des Englischen ausgesprochen mächtig zu sein. Die anderen machen sich klein in ihren Sitzen, damit niemand merkt, dass sie Kopfhörer tragen, auf denen eine Frauenstimme den Vortrag simultan übersetzt. Wo die Frau sitzt, kann man nicht sehen. Ihrer Stimme nach ist sie sehr zierlich.

Als Professor für internationale Beziehungen an der London School of Economics steht Halliday neben der Terrorexpertin Loretta Napoleoni und dem Islamwissenschaftler Navid Kermani für den theoretischen Part des Middle-East-News-Festival, auf dem es darum geht, aktuelle Kunst und Kultur des Mittleren und Nahen Ostens vor perspektivischen Verzerrungen durch westliche Medien zu retten.

Hallidays Argumentation ist so schlicht wie überzeugend: Von einem unvermeidbaren Zusammenstoß der Kulturen zu sprechen sei deshalb unsinnig, weil Kulturen keine überzeitlich festen Größen seien. Was die Kultur eines Landes ist, hänge jeweils von konkreten historischen Entwicklungen ab und verändere sich kontinuierlich. Das sind keine umwerfenden Neuigkeiten. Selbst Samuel P. Huntington, dessen berühmte und berüchtigte Formel vom „clash of civilizations“ Halliday wiederholt kritisiert, hat seine allzu scharfen Thesen längst relativiert und deutet die Konfrontationen zwischen westlicher und östlicher Hemisphäre mittlerweile im Rahmen einer Modernisierungstheorie.

Dass man mit diesem Thema auch sehr viel emotionaler umgehen kann und damit ebenso ins Schlittern kommt wie die Besucher, die an diesem Abend über die vereisten Straßen zum HAU 1 rutschen, hat die Initiatorin des Festivals, Catherine David, bewiesen. Sie ist im Vorfeld mit einigen amerikafeindlichen Statements in der Presse zitiert worden, mit denen sie ihrem Anliegen, vor allem auch irakischer Kunst eine Plattform zu bieten, mehr geschadet als genützt haben dürfte.

Umso glücklicher kann David sich schätzen, dass sie mit Fred Halliday und der Wirtschaftswissenschaftlerin Loretta Napoleoni, die im Anschluss an Halliday sprechen wird, nicht nur zwei ausgewiesene Kenner des Nahen und Mittleren Ostens zu ihren Gästen zählen darf. Es sind auch zwei Redner, die ihre Thesen ohne ideologische Verbohrtheit vorstellen.

Halliday ist am Ende seines Vortrags: Mohammed habe einmal gesagt, die Vielfältigkeit seines Volkes sei ein Segen. Nun ist es also doch noch ein bisschen das Wort zum Sonntag geworden, an das Loretta Napoleoni sich gleich anschließt. Sie erzählt, wie sie vom Flugzeug aus auf das verschneite Berlin gesehen hat. Wie ein heller Hoffnungsschimmer sei ihr die Stadt vorgekommen. Doch dann führt sie im Detail vor, wie sich der Westen den Top-Terroristen al-Sarkawi konstruiert hat, um eigene politische und militärische Operationen zu rechtfertigen. Von Hoffnung keine Rede. Dafür macht sich einige Düsternis breit. Man würde noch gern einen weiteren Witz von Halliday hören. Aber der ist schon längst wieder verschwunden. WIEBKE POROMBKA

Eine Bildungskolumne – in Zeiten von Wissensgesellschaft und strategischer Selbstbewirtschaftung ein Muss. Immer im Zweiwochenrhythmus – bis zum Semesterende.