Entsetzen über Deutschgebot

Erfahrene Deutschlehrer gegen „Man spricht Deutsch“ auf dem Schulhof. Wenn Lehrer in der Pause Sprachwächter spielen, wird das Deutschlernen erschwert

BERLIN taz ■ Es schwankt zwischen Entsetzen und Empörung, wie erfahrene Pädagogen aus Brennpunktschulen und Sprachlehrer auf das Deutschgebot in der großen Pause reagieren. „Ich renne doch nicht über den Schulhof und schaue, in welcher Sprache meine Schüler sich unterhalten“, sagte etwa der Rektor der Berliner Heinrich-von-Stephan-Schule, Jens Großpietsch. Sprachverbote auf dem Schulhof zu kontrollieren sei für die pädagogische Atmosphäre kontraproduktiv. „Ein Deutschgebot gehört nicht in die Hausordnung einer Schule, das ist eine Nummer zu groß.“

Die Berliner Hoover-Oberschule hat Deutsch zur Pflichtsprache auf dem Schulhof erklärt, die von Lehrern kontrolliert werden soll. Den Beschluss fassten Schüler, Eltern und Lehrer. Er steht bereits seit mehr als einem Jahr in der Hausordnung der Schule. Berlins Schulsenator Klaus Böger, SPD, hat dieses Konzept nun begrüßt. Er empfiehlt „Man spricht Deutsch“ allen Berliner Schulen.

Jens Großpietsch hält es für falsch, wenn die Lehrer zu Schulhofinspektoren für Deutsch werden. Großpietsch leitet eine Haupt- und Realschule im Berliner Bezirk Tiergarten, die mit der Theodor-Heuß-Medaille ausgezeichnet wurde, weil sie vorführt, wie man eine Schule in einem sozialen Brennpunkt mit hohem Migrantenanteil zu einer anerkannten Schule machen kann.

Ähnlich ablehnend wie Großpietsch reagierten auch Pädagogen anderer Deutschlernprojekte aus Großstädten. „Es ist Unsinn, wenn man Lehrern den Sheriffstern für Sprachkontrolle umhängt“, kritisierte der Sprecher des Frankfurter Schuldezernats, Michael Damian. Aufgabe der Lehrer sei es, alle möglichen Situationen zu nutzen, um Deutsch zu lernen oder zu verbessern. „Anlässe zum Lernen: ja“, sagte Damian, „alles was der Disziplinierung dient: nein.“

Bettina Buschner-Matz von der Evangelischen Kirche München nannte das Berliner Deutschgebot einen Rückfall in die Zwangspädagogik des 19. Jahrhunderts. „Damals band man Linkshändern die Hand auf den Rücken, um sie zu Rechtshändern zu machen“, sagte die Referentin für Ausländerarbeit der taz. Heute versuche man Zuwanderern ihre Muttersprache zu verbieten. „Schule und Sprachenlernen kann aber nur gelingen, wenn sie die Lernenden in ihrer Identität wahrnimmt – sprachlich und kulturell.“

Buschner-Matz und die Evangelische Kirche Münchens gehen einen ganz anderen Weg des Deutschlernens. Sie arbeiten mit dem Zentrum für Mehrsprachigkeit Kikus zusammen, das ohne Zwang, aber mit viel Motivation systematische Sprachangebote unterbreitet. Kikus hat jüngst den McKinsey-Preis „Alle Talente fördern“ bekommen. „Es wäre ratsam, wenn man die Energie nicht für Kontrolle verwenden würde, sondern zur Motivation der Schüler“, sagte Bettina Buschner-Matz.

Auch der bekannte Hamburger Erziehungswissenschaftler Peter Struck wandte sich gegen den Deutschzwang auf dem Schulhof. „Dann müssen die Lehrer auf dem Hof patrouillieren und aufpassen, ob auch wirklich nur Deutsch gesprochen wird.“ Das sei nicht sinnvoll. „Gute Lehrer versuchen, die Schüler zu überzeugen, dass es gut ist, möglichst viel Deutsch zu sprechen.“ Struck verwies auf den Charakter der Pause. „Die ist privat, und wenn türkische Jugendliche zusammenstehen, sollen sie auch Türkisch sprechen dürfen.“

Die deutschen Städte mit hohem Ausländeranteil hören auf die Pädagogen des Deutschlernens. Sie wollen dem Berliner Vorstoß, Deutsch als Pflichtsprache auf dem Schulhof einzuführen, nicht folgen. Stuttgart, Köln, München und Dortmund halten eine Sprachverordnung für überzogen, ergab eine Umfrage der Nachrichtenagentur dpa. Hamburgs Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) sagte: „Mit so einer Anweisung kommt man nicht weiter.“ CHRISTIAN FÜLLER

KERSTIN SPECKNER