„Höchstens sieben Hersteller werden bleiben“

Die Massenentlassungen bei Ford und GM sichern nicht die Zukunft der beiden Konzerne, sagt Experte Steven Szakaly

taz: Herr Szakaly, Ford entlässt 30.000 Arbeiter, General Motors auch, der Zulieferer Delphi hat mit weltweit 45.000 Beschäftigen Insolvenz angemeldet. Was läuft schief?

Steven Szakaly: Vor allem Ford und GM haben ein Qualitätsproblem, und das schon seit den 70er-Jahren. Das Image ist mies. Die Modelle sind langweilig. Die Investments bei Jaguar (Ford) und SAAB (GM) waren falsch. Man hat die Wünsche der Kunden ignoriert. Heute bekämpft man die Folgen dieser Fehler mit rigoroser Kostensenkung, das beschert neue Qualitätsprobleme.

Hört sich nicht gut an. Ist das der Anfang vom Ende?

Die US-Autoindustrie, vor allem GM und Ford, gerät unter immer stärkeren Wettbewerbsdruck. Außerdem sind die teuren Renten- und Krankenversicherungen für die Arbeiter eine große Last aus besseren Tagen. Das verhindert, dass die Konzerne ihre Finanzkrise schnell und nachhaltig lösen können. Daher erwarte ich die großen Veränderungen erst ab 2007, wenn die Sozialverträge neu verhandelt werden. Die aber werden für die Zukunft der Konzerne entscheidend sein

Der US-Automarkt gilt doch immer noch als der weltweit wichtigste.

Das Problem ist, dass es kein nennenswertes Wachstum mehr gibt. Die sinkenden Marktanteile bedeuten mittelfristig, dass die Zahl der Hersteller schrumpfen wird. Bei den Zulieferern hat der Schwund längst begonnen.

Wer wird überleben?

Toyota, Honda, Nissan und Chrysler auf jeden Fall. Bei Ford und GM ist es fragwürdig, ob sie nach 2015 noch auf dem Markt sind. 2006 dürfte für beide das entscheidenste Jahr ihrer Firmengeschichte werden. Die jetzt getroffenen Entscheidungen werden den Kurs in die Zukunft sichern – oder gefährden. Es läuft darauf hinaus, dass von acht Autoherstellern nur sechs bis sieben übrig bleiben, mit jeweils 15 bis 18 Prozent Marktanteil.

Die Autoindustrie war einst der Stolz Nordamerikas. Was bedeutet ihr Untergang?

Seit drei Jahrzehnten schon ist die amerikanische Industrie im Niedergang begriffen. Vor allem die Autoindustrie sorgte lange für den sozialen Kitt. Sie bot den einfachen Arbeitern die Möglichkeit sozial aufzusteigen, die Kinder studieren zu lassen, ein Haus und zwei Autos zu kaufen. Zerbröselt der Kitt, hat das zur Folge, dass sehr viele Menschen wieder auf Niedriglohnjobs angewiesen sein werden. Das bedeutet: ein Haus mieten statt kaufen, keine gute Ausbildung für die Kinder und ein niedriger Lebensstandard. Sozialer Aufstieg ist dann nicht mehr möglich.

Wie viele Menschen wird das betreffen?

Dazu gibt es keine absoluten Zahlen. Aber mit jedem Job in der Autoindustrie gehen fünf bis sieben in der Region verloren. US-weit hängen rund 11 Prozent der Jobs in der Produktion direkt von der Autoindustrie ab, über 53 Prozent indirekt. Man kann auch sagen, je 2 Prozent Verlust bei den Marktanteilen bedeutet die Schließung einer Fabrik.

Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die Industrieregionen?

Anders als in Europa haben die USA einen sehr fluktuierenden Arbeitsmarkt. Die Leute ziehen einfach dorthin, wo die Jobs sind. Die Folge ist, dass vor allem die Jungen und gut Ausgebildeten aus den nördlichen und mittleren Regionen wegziehen. In diesen Regionen schrumpfen die Steuereinnahmen, die Bevölkerung, der Immobilienmarkt und die Städte. Kurz – sie sterben.

INTERVIEW: A. WOLTERSDORF