Südstaaten entfesseln Atomkrieg in der CDU

RICHTUNGSSTREIT Bayern, Baden-Württemberg und Hessen kritisieren Norbert Röttgen. Doch die Unterstützung für den CDU-Bundesumweltminister wächst

Der Minister fühlt sich „in der Spitze und in der Breite“ seiner Partei unterstützt

BERLIN taz | Das neue Berliner Regierungsbündnis hält auch jenseits der ersten drei Monate fast täglich die unterhaltsamsten Überraschungen bereit. Das jüngste Novum war am Freitag eine Pressekonferenz dreier Landesminister, die gemeinsam den Bundesminister der eigenen Partei aufs Heftigste kritisierten. Die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner (CDU), ihr bayerischer Amtskollege Markus Söder (CSU) und die hessische Ressortchefin Silke Lautenschläger (CDU) empörten sich im Pressesaal des Berliner Bundesratsgebäudes über Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), der die Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke um maximal 8 Jahre verlängern will.

„Wir sind im Wahlkampf für eine Verlängerung der Laufzeiten eingetreten, das muss weiterhin gelten“, sagte Gönner. „Es ist nicht hilfreich, wenn vor der Erstellung des Energiekonzepts schon Vorfestlegungen stattfinden.“ Bayern, Baden-Württemberg und Hessen beziehen allesamt einen hohen Anteil ihres Stroms aus Atomenergie und müssten nach geltender Rechtslage kurzfristig jeweils einen Reaktor stilllegen. Die drei Ministerpräsidenten Stefan Mappus, Horst Seehofer und Roland Koch zählen zu den Unionspolitikern, die eine Annäherung an grüne Programmatik kritisch sehen.

Röttgen hatte seine Positionen am Vorabend bei einem Vortrag an der Berliner Humboldt-Universität bekräftigt, der unter dem Titel stand: „Was bedeutet Fortschritt heute – Perspektiven einer zukünftigen Umwelt- und Energiepolitik“. Dort sagte Röttgen, er sei sich in seiner Partei „der Unterstützung in der Breite und an der Spitze sicher“. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Röttgen am Montag über ihren Regierungssprecher attestieren lassen, er bewege sich auf dem Boden des Koalitionsvertrags.

Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bescheinigte dem Minister in einem am Freitag erschienenen Interview, er habe „auf Sachverhalte hingewiesen, die wichtig und richtig sind“. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte, Röttgens Äußerungen seien „im Kern durch den Koalitionsvertrag gedeckt“.

Zuletzt hatte auch eine Gruppe von sechs Umweltpolitikern aus der Bundestagsfraktion die atomkritische Position gedeckt. „Röttgen hat recht“, hieß es in einem Aufruf, der unter anderem von dem baden-württembergischen Abgeordneten Andreas Jung und dem bayerischen Parlamentarier Josef Göppel unterzeichnet war.

In Schleswig-Holstein stützten CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher und der von der FDP nominierte Justizminister Emil Schmalfuß ebenfalls die Position Röttgens. Die schleswig-holsteinischen Reaktoren Krümmel und Brunsbüttel stehen nach zahlreichen Pannen ohnehin still. Der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP), der Röttgen am Mittwoch kritisiert hatte, beteiligte sich an der Protestkundgebung im Bundesrat nicht.

Als wenig hilfreich bewerteten die Atombefürworter manche Äußerung aus den eigenen Reihen. So hatte der Mittelstandspolitiker Michael Fuchs Windräder und Solaranlagen als „Vogelschredder und Subventionsgräber“ bezeichnet. RAB