Chefaufklärer mit wirrem Haarkranz

UNIVERSITÄT Der Göttinger Politologe Franz Walter soll untersuchen, wie die Grünen in ihren Anfängen mit Pädophilen umgingen. Für diese heikle Aufgabe ist er genau der Richtige. Er hat anderthalb Jahre Zeit

BERLIN taz | Optisch wirkt Franz Walter wie ein Soziologiestudent im 68. Semester, der in verqualmten Studentenkneipen marxistische Theorien debattiert. Walter, 57, trägt seinen wirren, grauen Haarkranz lang, hält stoisch an seiner Nickelbrille fest und findet nichts dabei, sich in T-Shirt und Jeans neben anzugtragenden Spitzenpolitikern auf ein Podium zu setzen. Er hat den Schlabberlook kultiviert. Und setzt so das feine Signal, dass er es nicht nötig hat, allzu viele Zugeständnisse an Konventionen zu machen.

Der renommierte Politologe und Parteienforscher leitet das Institut für Demokratieforschung der Universität Göttingen. Seit Freitag ist er offiziell mit einer Untersuchung betraut, deren Ergebnis die Öffentlichkeit interessieren wird. Walter und sein Team sollen aufarbeiten, welchen Einfluss Pädophilen-Gruppen bei den Grünen in den 80er Jahren hatten. Damit avanciert er zum Chefaufklärer in Fragen, die die Partei seit Wochen im Wahlkampf beschäftigen.

Warum ließen die Grünen in ihren Anfängen auf Parteitagen Gruppen wie die Stadtindianer zu Wort kommen, die offen ein „Recht auf Sexualität für Kinder und Jugendliche“ forderten? War die Distanzierung der Gesamtpartei so eindeutig, wie führende Grüne es heute glauben machen wollen? Wo gab es Unschärfen im Umgang mit Pädophilen?

Franz Walter ist politischer Profi genug, um zu wissen, welche Brisanz in diesen Fragen liegt. Seine Ergebnisse werden ein Politikum sein und im Wahlkampf selbstverständlich von den Parteien instrumentalisiert werden. Für diese heikle Aufgabe ist er genau der Richtige.

Walter, seit 1972 SPD-Mitglied, gilt seit Jahrzehnten als einer der scharfsinnigsten Beobachter deutscher Politik. Er formuliert seine Thesen nicht nur schlüssig, sondern auch pointiert und alltagsnah. Er veröffentlichte mehrere Bücher, etwa zum „Herbst der Volksparteien“, und schreibt in unterschiedlichsten überregionalen Medien wie im Spiegel, der Zeit oder der taz.

Walter ist ein unabhängiger Kopf, der oft auch mit der SPD hart ins Gericht ging. Man kann davon ausgehen, dass er sich nun nüchtern wie ein Insektenforscher über die grüne Geschichte beugen wird. Einmal, so erzählte er es mal in einem Interview, habe ihn Christian Wulff wegen seiner abstehenden Haare als Grünen verortet. Walter wies das empört von sich – zu elitär, zu pastoral, zu viel erhobener Zeigefinger. Er wird Ende 2014 seine Einschätzung liefern, kritisch wie immer. ULRICH SCHULTE