Neue Allianz für den Freihandel

CHINESISCHER STAATSBESUCH Peking will mit Deutschland über ein Freihandelsabkommen verhandeln. Die deutsche Wirtschaft freut das – auch wenn ihre wiederholte Forderung nach Strafzöllen anderes vermuten lassen könnte

■ Vor seinem Besuch in Deutschland ist der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang am Freitag in der Schweiz empfangen worden. Chinas Regierungschef besuchte Zürich und Bern und unterzeichnete in der Hauptstadt gemeinsam mit dem Schweizer Präsidenten Ueli Maurer eine Absichtserklärung für ein Freihandelsabkommen zwischen beiden Ländern. Der Schweizer Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann sagte, es sei geplant, den endgültigen Vertrag im Juli zu unterschreiben.

■ Die Politiker vereinbarten zudem eine engere Zusammenarbeit der Finanzsektoren beider Länder. (afp)

AUS PEKING FELIX LEE

Solarmodule, Telekommunikationsanlagen, Porzellan: In insgesamt 18 Fällen prüft die EU derzeit Anti-Dumping-Verfahren gegen China. Ausgerechnet in diesem Umfeld schlägt die chinesische Führung der Bundesregierung vor, Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aufnehmen. Mit diesem erklärten Ziel jedenfalls war Chinas neuer Premierminister Li Keqiang am Sonntag zu seinem Antrittsbesuch nach Berlin gereist, der bei Redaktionsschluss andauerte. Schon klar war jedoch, dass Lis Idee auf reges Interesse der deutschen Wirtschaft stößt.

Allein durch den Wegfall von Strafzöllen sei ein jährlicher Zuwachs der deutschen Exporte von mindestens vier Milliarden Euro möglich, sagt der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. „Alles, was dem Ideal des Freihandels näher kommt, halten wir für unterstützenswert.“

Auf den ersten Blick überrascht es, dass die deutsche Wirtschaft positiv auf Chinas Vorstoß reagiert. Erst vor zwei Wochen beschloss die EU-Kommission auf Betreiben des europäischen Verbands ProSun, der unter Federführung von Solarworld Lobbyarbeit für die Solarwirtschaft macht, Strafzölle auf chinesische Solarmodule. Die angeschlagene Bonner Firma wirft China Dumpingpreise vor.

Und Solarworld ist keineswegs der einzige Akteur, der wegen Billigimporten aus China klagt. EU-Handelskommissar Karel De Gucht droht den Netzwerkausstattern Huawei und ZTE mit Handelssanktionen. Auch diese beiden chinesischen Unternehmen stehen kurz vor einem Anti-Dumping-Verfahren der EU.

„China könnte bald wichtigster Abnehmer deutscher Waren sein“

DIHK

Tatsächlich kommt das Interesse der deutschen Wirtschaft an Pekings Vorschlag nicht von ungefähr. Zwar gibt es auch in Deutschland Befürchtungen, bei einer völligen Freigabe könnte der Markt noch stärker mit chinesischen Billigimporten überschwemmt werden – der deutsche Außenhandel weist mit China ein Handelsbilanzdefizit auf: 2012 haben die Chinesen 10 Milliarden Euro mehr nach Deutschland eingeführt als umgekehrt. Doch dieses Defizit ist gegenüber 2011 bereits um fast ein Drittel geschrumpft. Viele deutsche Firmen machen in der Volksrepublik derzeit Rekordumsätze. Sie könnten noch höher ausfallen, wenn es zwischen China und Deutschland ein Freihandelsabkommen gäbe. Der DIHK geht sogar davon aus, dass China bis 2023 zum wichtigsten Abnehmer deutscher Waren aufsteigen könnte.

Abgesehen von dem Teil der Solarbranche, der mit Solarword das Anti-Dumping-Verfahren gegen die chinesische Konkurrenz anstrebt, fürchten sich die meisten deutschen Unternehmer denn auch nicht so sehr vor den chinesischen Billigimporten. Vielmehr beklagen sie die bürokratischen Hürden in China. Trotz boomender Geschäfte litten viele von ihnen in der Volksrepublik nach wie vor unter erschwerten Marktzugängen. Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen könnten diese Hürden beseitigen, so ihre Hoffnung. Und bei den jüngsten Handelskonflikten könnten Verhandlungen mit einem gemeinsamen Ziel sogar deeskalierend wirken.

Und auch EU-Diplomaten halten ein solches Abkommen mit China für möglich und wünschenswert. Das könnte geprüft werden, wenn die Volksrepublik Wettbewerbsprobleme im eigenen Land beseitige, heißt es in einer aktuellen Studie im Auftrag der EU.