Schlimmer geht es kaum noch

KOMMUNEN Zwar haben Städte und Gemeinden riesige Haushaltslöcher, dennoch dürfte das Urteil kaum Auswirkungen haben. Die Kosten sind im Vergleich zum Grundproblem, den Steuerausfällen, gering

STUTTGART taz | Entsetzen hört sich anders an. „Ich muss darauf hinweisen, dass ich noch keine Aussage treffen kann“, sagt Roger Kehle, Präsident des Gemeindetages in Baden-Württemberg. Relativ gelassen geht er mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Regelsätze von Hartz IV um. Noch sei nicht ausgemacht, ob es zu einer Erhöhung komme, man bekomme aber immerhin nun Rechtssicherheit für die Herleitung der Hartz-IV-Sätze, sagt er.

Die Kommunen haben derzeit größere Sorgen. Das zeigt ein Blick auf die baden-württembergische Stadt Wernau, deren Bürgermeister Roger Kehle bis Ende 2008 war. Sein Nachfolger in dem 12.500-Seelen-Ort in der Nähe von Stuttgart ist der 46-jährige Armin Elbl. „Im Prinzip können wir finanziell nichts mehr verkraften“, sagt er. Die derzeitige Haushaltslage seiner Gemeinde sei ein Drama. 2009 ist im Vergleich zu 2008 die Gewerbesteuer um 60 Prozent zurückgegangen und hinterließ ein Loch von 2,5 Millionen Euro – bei einem Haushalt von 18 Millionen.

Weitere Belastungen für die Gemeinde wären kaum zu verkraften. Zumal die baden-württembergische Gemeindeordnung eine Art Schuldenbremse kennt: Übersteigen die Verbindlichkeiten einen bestimmten Prozentsatz des Haushalts, schreiten im Falle von Gemeinden die Regierungspräsidien ein. Dann muss radikal gespart werden

Elbl schätzt die Zahl der Hartz-IV-Empfänger in seiner Gemeinde auf 500, vier Prozent der Einwohner. Wie viel sein Haushalt dadurch belastet wird, weiß er nicht: Die Landkreise sammeln von den Gemeinden eine Kreisumlage ein und übernehmen kommunale Kosten und Betreuung für die Hartz-IV-Empfänger. Im zuständigen Landkreis Esslingen, sagt ein Sprecher, würde auch eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze kaum Auswirkungen haben: Der Bund übernimmt ohnehin die Regelsätze, deren Berechnung das Bundesverfassungsgericht jetzt bemängelt.

Ausnahmen bilden lediglich Sozialhilfeempfänger: Sie bekommen den Hartz-IV-Satz und würden auch von höheren Regelsätzen profitieren. Die Kommunen zahlen dafür. Ihr Anteil liegt aber unter 10 Prozent, zählt man alle Empfänger von Sozialhilfe und Hartz IV zusammen. Was Kommunen zahlen, sind anteilige Kosten für Miete und Heizung, doch die sind vom Urteil der Karlsruher Richter wahrscheinlich nicht betroffen.

Kehle sieht für die Kommunen daher an andere Stelle Handlungsbedarf: Er fordert eine Pauschalierung der Zahlungen für Miete und Heizung, abhängig vom Wohnort. „Das würde erhebliche Kosten in der Bürokratie einsparen“, sagt er. Momentan wird jeder Einzelfall geprüft und bearbeitet.

Zudem ist ungeklärt, wer bei einem höheren Regelsatz die Zuzahlungen übernimmt: Bisher bekommt, wieder am Beispiel des Landkreises Esslingen, eine Familie mit zwei Kindern, die Hartz IV bezieht, mit Kindergeld und Unterbringung insgesamt 1.800 Euro im Monat. Wer arbeitet und weniger verdient, bekommt eine Aufstockung auf den Hartz-IV-Satz. Sollte der steigen, würde auch die Zuzahlung steigen.

Wer diese Mehrkosten wiederum tragen würde, sei noch unklar, sagt ein Sprecher des Landkreises Esslingen. Allerdings gelte auch hier: Die Kosten für die Kommunen wären im Vergleich zum Grundproblem, den Steuerausfällen, sehr gering.

Die kommunalen Spitzenverbände haben gestern bereits eine deutliche Erhöhungen der Regelsätze abgelehnt, die von den sozialen Spitzenverbänden geforderte wurde. Dies würde über 10 Milliarden Euro kosten, und die Zahl der Hilfeempfänger würde von zurzeit 6,8 Millionen auf knapp 9 Millionen ansteigen, rechneten die Verbände vor. INGO ARZT