Der Nestlé-Schreck

Marco Kistler reagiert gelassen auf die jüngsten Drohungen der Chefmanager von Glencore, Nestlé und anderen Multis, ihren Firmensitz aus der Schweiz ins Ausland zu verlegen. „Schon als es um die Abschaffung der Kinderarbeit ging, drohten Unternehmen mit Abwanderung. Das ist nicht ernst zu nehmen.“ Der 28-jährige Jungsozialist aus dem Innerschweizer Kanton Glarus ist Auslöser der Sorge unter eidgenössischen Top-Abzockern, sie könnten statt heute im Durchschnitt 93-mal künftig „nur“ noch zwölfmal so viel verdienen dürfen wie die schlechtbezahltesten Beschäftigten ihres Unternehmens.

Bereits 2008 hatte Kistler den Glarner Jusos die „Volksinitiative für gerechte Löhne“ vorgeschlagen, über welche die Schweizer am 24. November abstimmen. Heute gehört Kistler zum sechsköpfigen Kampagnenteam, das eine Mehrheit für die von Wirtschaftsverbänden mit viel Geld bekämpfte Initiative herbeiführen soll.

Ungerechte Verhältnisse im privaten Umfeld wie in der großen Politik sensibilisierten den Sohn einer Sozialarbeiterin und eines Ingenieurs schon in der Schule. Er engagierte sich für Gleichberechtigung zwischen Schülern und Lehrern, flog schließlich vom Gymnasium – und holte das Abitur als Erwachsener nach. Neben einer halben Stelle beim Schweizer Gewerkschaftsbund arbeitet Kistler auch als Mitglied des Gemeinderats wie des Kantonsparlaments von Glarus. Seine politischen Gegner beschimpfen ihn als „hemmungslosen Radikalen“, der sich nicht einmal beim Outfit anpasse. Denn zu den Sitzungen des Kantonsparlaments erscheint Kistler neben all den Anzug-und Krawattenträgern genauso wie auf Kundgebungen und Demonstrationen: in Jeans und Kapuzenpullover. ANDREAS ZUMACH