Versagen der Schlichter

Der Sportausschuss tut sich schwer, die Organisatoren der Fußball-WM und die Stiftung Warentest zu versöhnen

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

Die Abgesandten der Stiftung Warentest schleichen in den Sitzungssaal 4800. Die Sportpolitiker sind schon da, nehmen keine Notiz von den beiden. Holger Brackemann nimmt mit rotem Kopf Platz, Thomas Jäger blickt sich nervös um. Sein Sakko ist dem hageren Mann ein paar Nummern zu groß, die Krawatte passt farblich nicht. Brackemann schaut mit großen Augen in die Runde. Er hat nicht oft solche Termine.

Die Stiftung soll sich vor dem Sportausschuss des Bundestages rechtfertigen für eine Aufsehen erregende Studie. Sie hat vier WM-Stadien die rote Karte gezeigt: Die Arenen in Leipzig und Kaiserslautern, in Gelsenkirchen und Berlin hätten „erhebliche“ Mängel. Bräche dort eine Panik aus, könnten die Zuschauer nicht auf das Spielfeld flüchten, weil tiefe Gräben und hohe Mauern den Zugang versperren.

Eine Panik ist wenig wahrscheinlich. Aber wenn es dazu käme, würde es Tote geben. Darum geht es. Um einen hypothetischen, aber bedrohlichen Fall.

Die Stiftung testet nicht nur Olivenöl und Waschmaschinen, manchmal auch Bahnhöfe oder Flughäfen. Der Veröffentlichung von Testergebnissen folgt oft ein Aufschrei. Doch wenn sich die Gemüter beruhigt haben, zeigen sich die Verlierer einsichtig und bessern nach. Das hatten die Herren vom Berliner Lützowplatz, dem Sitz der Stiftung, diesmal auch angenommen. Aber das Organisationskomitee (OK) der Fußball-WM und die Stadionbetreiber denken gar nicht daran, die Studie heranzuziehen. Im Gegenteil. Der Test sei eine Zumutung, sagen sie. Die Tester seien Luftikusse, die es sich zu einfach gemacht hätten, und scharf auf Publicity dazu.

Auch das Organisationskomitee hat Vertreter nach Berlin geschickt. Der Vorsitzende des Sportausschusses, Peter Danckert (SPD), schnellt wie ein Blitz aus seinem Sessel, als er Horst Schmidt vom Deutschen Fußball-Bund erblickt, den Vizepräsidenten des OK. Danckerts Stellvertreter, Peter Rauen von der CDU, klopft Schmidt vertraulich auf die Schulter. Man kennt sich. Danckert gefällt sich in der Rolle des Schlichters. Man wolle hier und heute eine Lösung finden, verkündet er, die Parteien müssten miteinander reden, weil die Sicherheit „ein ganz, ganz wichtiges Thema“ sei und sich Deutschland, der unangefochtene Organisationsweltmeister, keinen Vertrauensverlust „in der Welt“ leisten könne.

Tester Brackemann antwortet: „Wir haben nicht aus der Hüfte geschossen.“ Die Stiftung hat sich monatelang durch Akten und Expertisen gegraben, Psychologen zu Rate gezogen und unabhängige Ingenieurbüros beauftragt. Validität geht ihnen über alles. Ihr Ruf ist exzellent. Trotzdem stehen die Botschafter der Prüfanstalt heute unter Rechtfertigungsdruck, weil ihnen keiner glauben will. Auch der Sportausschuss nicht – vor allem Peter Rauen. „Was hier die Stiftung Warentest gemacht hat, ist unverantwortlich. Das Vertrauen weltweit ist erschüttert“, schimpft er. Wütend fährt er fort: „Das ist der Gipfel der Unverfrorenheit.“ Danckert, der neben dem CDU-Mann sitzt, versucht ihn zu beruhigen, fasst Rauen beschwichtigend am Unterarm. Aber der reißt sich los und poltert weiter. „Das ist doch eine subjektive Darstellerei.“ Die Warentester wissen nicht, wie ihnen geschieht.

Das hatten sie nicht erwartet von den Politikern, die das brisante Thema doch neutral bewerten wollten. Sollte es im Sportausschuss nicht um Annäherung gehen, um Versöhnung im Sinne des Projekts Fußball-WM? Nur wenige Sportpolitiker bewahren kühlen Kopf. Winfried Hermann von den Grünen empfiehlt, die Vorwürfe „fallbezogen abzuarbeiten“. Klaus Riegert (CDU) meint, der Ball müsse „flach gehalten“ werden. Wolfgang Grotthaus (SPD) will nicht einsehen, warum die Tester gleich vaterlandslose Gesellen sein sollen. „Ich bin der Stiftung dankbar“, beharrt er, „auch wenn sie die Ergebnisse mit ein bisschen mehr Sensibilität hätte veröffentlichen können.“

Es scheint an diesem Mittwochnachmittag verboten zu sein, die Warentester offen zu unterstützen. Immer wieder wird ein Zweifel geäußert, eine Unterstellung nachgeschoben, eine Nickeligkeit angefügt. Brackemann und Jäger, die Angeklagten im holzgetäfelten Rund des Sportausschusses, bleiben ruhig. Sie zelebrieren die hohe Kunst der Geduldsübung, ohnehin bleibt ihnen wenig Redezeit. Etwas mehr Raum bekommt Horst Schmidt vom OK, der ausführt, dass die Stiftung nur einen „Überraschungserfolg“ habe landen wollen, dabei aber übersehen habe, „dass ein Imageschaden für die WM und das Land entsteht“. Noch immer reagiere er mit „Empörung und Unverständnis“. Schmidt hat die Stiftung im Vorfeld der Sitzung aufgefordert, die schlechten Urteile zu widerrufen – wie der Inquisitor den Ketzer. „Die rote Karte im Fußball bedeutet Ausschluss. Wollen Sie, dass die vier Stadien von der WM ausgeschlossen werden, nur weil Sie mal vier Stunden im Stadion waren?“, fragt Schmidt. Rauen nickt zustimmend. Dieser Treffer gegen die Stiftung hat gesessen. Schmidt will wissen, wer die Personen sind, die das Unerhörte wagten: in den deutschen Stadien Mängel finden. „Ross und Reiter“ müssten benannt werden, sonst könne man sich nicht zusammensetzen, stellt Schmidt kategorisch klar. Brackemann lehnt das ab. Es gehört zu den Grundsätzen der Prüfer, ihre Experten vor Einflussnahme zu schützen.

Gerade diese Unabhängigkeit ist es, die die Teilhaber des WM-Projekts so aufregt. Die Stiftung lässt sich nicht domestizieren. Sie bewegt sich nicht im Dunstkreis der Fußball-Lobbyisten und all der dienstfertigen Interessenvertreter aus Sport, Wirtschaft und Politik. Unabhängige und fundierte Kritik kann unter solchen Umständen unerhört, ja geradezu radikal sein. „Sie werfen den Stein ins Wasser und beobachten die Wellenbewegung“, wirft Schmidt in einer letzten Aufwallung den Prüfern vor. Die bieten zum wiederholten Male ein Gespräch an. Schmidt signalisiert am Ende des Tribunals gegen die Stiftung Warentest doch noch Gesprächsbereitschaft. Ja, man wolle sich bei Gelegenheit zusammensetzen. „Aber wir werden nichts ändern, von dem wir nicht überzeugt sind“, stellt Horst Schmidt schon mal den Ausgang der Gespräche vor.

Nach diesem letzten Akt der Show stehen Thomas Jäger und Holger Brackemann etwas abseits. Sie tuscheln. Einer lächelt gequält, der andere schüttelt fast unmerklich den Kopf. Das sieht aber nur, wer genau hinschaut.