Als die Theaterwelt nach Celle blickte

VERGANGENHEIT Die „Celler Hefte“ versuchen, kritische Heimatgeschichte zu schreiben und kommen ohne öffentliche Zuschüsse aus. In der neuen Ausgabe geht es um den Theaterintendanten Hannes Razum

Die Reihe erinnert an fast vergessene Personen, die im Streit mit der Machtelite lagen

Hannes Razum ist ein heute fast vergessener Theaterintendant. Ab 1950 war er Oberspielleiter an den Kammerspielen Bremen. 1956 wechselte er an das Celler Schlosstheater, das er mit vielen Erstaufführungen von einer Provinzbühne zu einem international beachteten Haus machte – gegen erhebliche Widerstände. So gab es etwa für „Das Tagebuch der Anne Frank“ Morddrohungen.

„Das große Interesse, das dieses Stück bei den Besuchern hervorrief, bewies uns indessen, dass die Abneigung, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen, nicht allgemein war“, schreib Razum. Sie beschränke sich auf gewisse Kreise in dieser Gesellschaft, die allerdings über großen Einfluss und die Machtmittel verfügten, die Meinung in dieser Stadt zu bestimmen, so Razum weiter. 1972 musste er gehen – seine konservativen Kritiker setzten sich durch.

Nachzulesen ist das im 200 Seiten-Band der Autoren Thorsten Albrecht und Oskar Ansull namens „Einladung ins Welttheater – Hannes Razum 1907–1994“. Die Publikation ist gerade in der Reihe Celler Hefte erschienen, in der unter anderem an fast vergessene Personen erinnert wird, die über ihr Wirken über den Heiderand hinaus von Bedeutung waren und oft im Widerstreit mit der konservativen Machtelite lagen.

Der Herausgeber der bislang fünf Celler Hefte ist die RWLE Möller-Stiftung. Der Namensgeber, ein 2001 verstorbener Künstler, hatte sich kritisch mit der NS-Zeit in Celle befasst: Das war das Thema der ersten beiden Celler Hefte, in denen es um ein Massaker an geflohenen KZ-Häftlingen am 8. April 1945 sowie um die Erinnerungskultur nach 1945 geht.

Der Band „Um-Brüche“ schildert unter anderem die politischen Aktivitäten von Ernst Hegewisch, juristischer Vertreter der KPD, sowie von Heinrich Albertz, ehemaliger Berliner Bürgermeister, kurz nach dem Ersten bzw. Zweiten Weltkrieg in Celle. In „Himmel, welch ein Land!“ geht es um literarische Beschreibungen der Region Celle von Till Eulenspiegel bis Arno Schmidt.

Die Celler Hefte sind Beispiele für eine kritische Lokalgeschichte, die ohne öffentliche Zuschüsse auskommt und frei von politischer Einflussnahme Themen setzt – mit viel Aufwand: Für den Band über Hannes Razum, über den es bislang keine Veröffentlichungen gab, forschten die Autoren in Archiven in Köln, Bremen, Erlangen, München, Düsseldorf und Amsterdam.

Der Band gibt auch einen Einblick, wie mit der Besetzung einer Theaterintendantenstelle Politik betrieben wurde. Nach dem zweistündigen Bewerbungsgespräch mit dem Celler Auswahlgremium – fünf Männer, davon vier Juristen und ein Mittelschullehrer – notierte Razum 1955: „Das Gespräch drehte sich um die Verhältnisse hier am Theater, wobei man bemüht war, mich auf die Vorzüge hinzuweisen, die es besaß, mir aber gleichzeitig bedeutete, dass man natürlich die Mentalität seiner Besucher berücksichtigen müsse.“ Ein Autor wie Brecht sei ihnen nicht zumutbar. Die Celler Ereignisse ordnen die Autoren auch in einen größeren Rahmen ein, den der Nachrkiegsentwicklung des westdeutschen Theaters.

Die Herausgeber wollen mit den Celler Heften die öffentliche Diskussion beleben: „Vielleicht wird eine solche Wortmeldung zur Sprache bringen, was hier bisher selten oder noch nicht vorgebracht wurde“, schreiben sie und versprechen: „Manchmal werden es neue Stimmen sein, oder solche aus fernen Ländern, die Gehör finden sollten – Stimmen jedenfalls, die aufmerksam machen können, die anregen, Fragen zu stellen oder selber weiter zu forschen.“

Das ist ein Konzept, das aufzugehen scheint: Die ersten beiden Celler Hefte sind fast ausverkauft, bei der Vorstellung des neuesten Bandes kamen rund 200 Interessierte ins Celler Schlosstheater.  JOACHIM GÖRES

„Einladung ins Welttheater – Hannes Razum 1907–1994“: Bestellungen unter celler-hefte@gmx.de