Die endliche Kraft der Leere

Andreas Homoki inszeniert Giuseppe Verdis „La Traviata“ in Bonn. Die erste Oper in deren Mittelpunkt eine Kurtisane stand. Homoki zeigt die Personen mit pädagogischer Genauigkeit

Der Regisseur reaktivierte, der Zeitnot gehorchend, eine Ende des letzten Jahrhunderts in Leipzig entwickelte Produktion

AUS BONNFRIEDER REININGHAUS

La Traviata – das ist nicht nur für die Freunde der italienischen Oper ein Kernkraftwerk der Gefühle. Der Freundeskreis ist groß und größer geworden. Kaum hatte das lebenswirkliche Vorbild der großen Opernkurtisane 1847 die Augen allzu früh für immer geschlossen, da setzte der in ihr Leben heftig involvierte Alexandre Dumas fils mit „La dame aux camélias“ ein Denkmal. Francesco Maria Piave schälte rasch ein Libretto aus dem Drama – Violetta Valéry lag noch keine fünf Jahre auf dem Friedhof am Montmartre.

Knapp geschnitten erscheint dieser Text. Das dichte Netz der sozialen Beziehungen und Verwicklungen, das die Geschichte von Aufstieg und Absturz, Liebe und Leiden literarisch verstrickte, wurden geopfert: Vier Episoden beleuchten das Schicksal der Valéry auf dem Höhepunkt ihrer gesellschaftlichen Karriere bis ins Sterbezimmer. Die anrüchige Dame – und das war in der Operngeschichte bis dahin noch nicht vorgekommen – rückte ganz in den Mittelpunkt.

Giuseppe Verdi verschaffte der Erinnerung jene emphatische Musik, die alle Stadien der Liebe begleitet. Dieser intensive Bogen des Wohlklangs, dem freilich auch einige Brechungen eingeschrieben wurde, vermag fortdauernd zu Herzen gehen. Zumal, wenn diese Überhöhung so delikat ausgestattet und dann wieder zupackend animiert wird, wie vom Beethoven Orchester Bonn unter der Leitung von Erich Wächter.

Andreas Homoki, Intendant der Komischen Oper Berlin, sprang für den erkrankten Hans Neuenfels ein. Der Regisseur und sein Ausstatter Frank Philipp Schlößmann haben die Bühne leer gefegt: einsam und allein steht die Solistin der Damenwelt schulterfrei im weißen Abendkleid auf dem fein strukturierten, blank schimmernden dunklen Boden. Der reicht ohne störendes Mobiliar bis an den monochromen Rundhorizont. Blumen und etliche Stühle bleiben die einzigen Requisiten. Diese Traviata ist zeitlos angelegt und kommt ohne feste Ortsbindung aus. Das Stilgemisch der Kostüme, querbeet durchs 20. Jahrhundert geschneidert, haben mit dem Paris der 1840er Jahre nichts mehr zu schaffen. Sie zielen auf nichts weniger als auf das Allgemeinste, was aus der Tiefe der musikalischen Tragödie gehoben werden kann: Liebesglück und Todesleid.

Nach der seraphisch schönen Orchesterintroduktion rückt die Phalanx der Männer, die begehren und ihre Nähe suchen, aus der Tiefe des Raums an und auf Mademoiselle Valéry zu – Baron Douphol, der sie gerade aushält, will, dass sie beim Ball an seiner Seite bleibt. Doch sie entzieht sich seiner Umklammerung und spielt sich für Alfredo Germont frei (in dem wir dank seiner Literatenmütze unschwer den jungen Dumas erkennen). Der Heißsporn lehnt sich gegen den Vater auf – überragend bestreitet Aris Argiris die Partie des Giorgio Germont, der seine Familie zusammenhalten will und eine Studie aus dem Geiste Sigmund Freuds wert ist. Homoki lässt die kürettierten Bilder der vier Episoden ineinander übergehen und sorgt so für eine dichte Verklammerung und Homogenisierung des Werks, das freilich musikalisch in seinem Montage-Charakter in eine ganz andere Richtung weist – in die der offenen Form. Vom prunkvollen Salon der Alphonsine Plessis, die sich den Künstlerinnennamen Marie Duplessis zulegte blieb das Parkett. Aus ihm sprießen weiße Blumen, um das Lebensambiente auf dem Land anzudeuten. Die Ballbesucherinnen pflücken sie, wenn Alfredo und Violetta nach Paris und ins mondäne Gesellschafts- und Liebesleben zurückkehren. Die eigentlich aufs Tanzen abonnierten Frauen bilden schließlich die Rückwand des Sterbezimmers, um sich noch einmal der Todkranken zuzuwenden. Das Ende tritt ohne Vorbereitung ein: rätselhaft und wie ein Unfall. Nicht als jene Notwendigkeit, die Voraussetzung des Werks war und so reicht die Produktion weder an die historische Höhe heran, aus der diese Oper stammt, noch in die Tiefe der psychischen Verwicklungen.

La Traviata (Die Gestrauchelte)19. Januar, 19.30 UhrKarten: 0228-778008