Proteste in Pakistan nach Luftangriff

Ein vermutlich vom US-Geheimdienst CIA geführter Angriff auf ein Dorf fordert mindestens zwanzig Tote. In den autonomen Stammesgebieten demonstrieren die Menschen seit drei Tagen. Präsident Musharraf gerät unter Druck der religiösen Parteien

AUS ISLAMABADNILS ROSEMANN

„Pakistan wird nicht zulassen, dass sich solche Vorfälle wiederholen!“, kommentierte Pakistans Informationsminister Sheikh Rashid Ahmed am Samstag den Tod von über 20 Menschen, darunter mindestens 14 Kinder, und die Zerstörung von drei Häusern durch einen amerikanischen Luftangriff im Norden Pakistans. Während Außenminister Riaz Khan in der Hauptstadt Islamabad das zweite offizielle Protestschreiben in einer Woche an US-Botschafter Ryan Crocker übergab, formierte sich in dem autonomen Stammesgebiet etwa fünfzig Kilometer nördlich der Provinzhauptstadt Peschawar der Protest.

Nach Aussagen von Augenzeugen verletzten in der Nacht von Donnerstag auf Freitag sechs Flugzeuge der USA den Luftraum Pakistans. Mindestens vier hätten in Damadola, einem Dorf in der Region Bajaur Agency, die Häuser eines Goldschmieds und eine religiöse Schule bombardiert. Die Bajaur Agency ist eine von sieben selbst verwalteten Stammesgebieten der Paschtunen in Pakistans Nordwestgrenzprovinz, in denen die Provinzregierung durch einen Politischen Agenten vertreten ist und die Zentralregierung keinen Einfluss hat. Das mutmaßliche Ziel des Angriffs, der stellvertretende Al-Qaida-Chef Aiman al-Sawahiri, ist nach Angaben von Armeevertretern nicht unter den Opfern.

Eine Sprecherin des US-Verteidigungsministerium sagte laut dpa: „Uns liegen keine Berichte über den Einsatz von Koalitionsflugzeugen in der Gegend vor, aus der über Explosionen berichtet wurde.“ Nach US-Medienberichten wurde der Angriff vermutlich von einer unbemannten Predator-Drohne geflogen, wie sie auch der US-Geheimdienst CIA hat. Ein CIA-Sprecher lehnte jede Stellungnahme ab.

Offenbar geht die CIA davon aus, dass sich al-Sawahiri zusammen mit dem geistlichen Führer Maulana Faqir Muhammad in der Region aufhält. Letzterer wird mit der in dem Gebiet tätigen Al-Quaida-Gruppe „Nimaz-e-Janaza“ und dem Libyer Abu Faraj Al-Libbi in Verbindung gebracht. Dieser wurde vor einem Monat in Mardan, einer Stadt zwischen Islamabad und Peschawar, vom pakistanischen Geheimdienst verhaftet.

Die Demonstrationen und Protestaktionen gegen den Angriff fanden gestern den dritten Tag in Folge statt. In einer Stammesversammlung in Inayat Kallay, einer Kleinstadt an der afghanischen Grenze, entschieden sich die Stammesältesten für einen Protest mit allen Mitteln. Plünderungen der Geschäfts- und Verwaltungszentren Khaar und Damadola waren die Folge. Das Büro des Politischen Agenten, Banken und zwei Vertretungen von amerikanischen Hilfsorganisationen sowie der Pakistanischen Menschenrechtskommission wurden zerstört. Tausende bewaffnete Stammeskrieger riefen Parolen wie „Gott ist groß“, „Nieder mit Amerika“, andere Sprechchöre richteten sich gegen Präsident Musharraf. Die Sicherheitskräfte reagierten mit dem Einsatz von Tränengas und Festnahmen. Dabei ist es üblich, dass Sicherheitskräfte und paramilitärische Einheiten Familien in Sippenhaft nehmen.

Harun Rashid, Parlamentsabgeordneter aus der Bajaur Agency und Mitglied der fundamentalistischen Partei Jamaat-e-Islami, bezeichnet den Angriff als „Schlag ins Gesicht der Souveränität des Landes.“ Vor tausend Menschen sagte Rashid unter Anspieleung auf Musharraf: „Ein Freund Amerikas ist ein Betrüger.“ Gleichzeitig rief er zum Dschihad gegen den „Aggressor“ – gemeint sind die USA – auf.

Gestern schloss sich auch das Sammelbecken der religiösen Parteien, Muttahida Majlis-e-Amal (Vereinte Aktionsfront), den Protesten an. Dessen stellvertretender Vorsitzender und Präsident von Jamaat-e-Islami, Qazi Hussain Ahmad, rief zu einer dreitägigen Trauer und einem Generalstreik auf. In der Nordwestgrenzpovinz und in Balutschistan, wo die Vereinte Aktionsfront regiert, wurde der Streik überwiegend befolgt.

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