Der Überlebende

BANGLADESCH Milon arbeitet im dritten Stock der Textilfabrik, als das Gebäude einstürzt. Er wird leicht verletzt gerettet – während mehr als 900 seiner Kolleginnen und Kollegen sterben. Erneut Tote bei Fabrikbrand in Dhaka

DHAKA taz | Erneut sind bei einem Brand in einer Textilfabrik in Bangladesch acht Menschen ums Leben gekommen. Anders als bei ähnlichen Unglücken in der Vergangenheit starben bei dem Unglück in der Hauptstadt Dhaka jedoch keine ArbeiterInnen: Deren Schicht endete bereits vor Ausbruch des Feuers.

Stattdessen fand die Polizei in den Resten des elfstöckigen Gebäudes eine denkwürdige Konstellation der Toten: den Besitzer der Fabrik, einen hochrangigen Polizisten sowie einen Politiker der regierenden Awami-Liga.

Der Brand gibt noch weitere Rätsel auf. So ist bisher ungeklärt, warum sich das Feuer im Erdgeschoss entzündete und warum dabei acht Männer, die sich im neunten Stock aufhielten, ums Leben kamen. Die Polizei geht davon aus, dass sie an einer Rauchvergiftung starben, als sie versuchten, durch das Treppenhaus zu entkommen.

Laut Gewerkschaftern produzierte die Fabrik für die britische Billigmarke Primark. Der Brand reiht sich ein in eine Serie von Unglücken in der bengalischen Textilbranche. Bei einem Fabrikbrand im vergangenen November starben 117 Menschen, 200 wurden verletzt. ArbeiterInnen berichteten, dass die Ausgänge des Gebäudes vor Ausbruch des Feuers verschlossen worden waren, sodass sie die Fabrik während des Brands nicht verlassen konnten.

Vor zwei Wochen war in der Kleinstadt Savar ein achtstöckiges Haus mit fünf Textilfabriken und mindestens 3.000 ArbeiterInnen eingestürzt. Sie hatten ebenfalls für internationale Modemarken produziert, darunter Mango, Benetton, Primark und KiK. In den Tagen nach dem Einsturz konnten fast 2.500 Menschen lebend geborgen werden. Dabei waren allerdings in vielen Fällen Notamputationen nötig, um eingeklemmte Opfer aus den Trümmern zu befreien.

Seitdem wird in der Ruine weiter nach Vermissten und Toten gesucht. Allein am Donnerstag wurden mehr als 100 Leichen gefunden, sodass sich die bestätigte Opferzahl auf über 900 erhöhte. Im Laufe des heutigen Tages wird sie sehr wahrscheinlich weiter ansteigen. Schon jetzt gilt der Einsturz als die verheerendste Katastrophe der weltweiten Textilindustrie.

Die Textilbranche von Bangladesch setzte im vergangenen Jahr rund 15 Milliarden Euro um. Die Umsätze machen mehr als drei Viertel der Exporte des Landes aus. Die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken sind berüchtigt: Die ArbeiterInnen sind aufgrund niedriger Löhne auf Überstunden angewiesen, müssen häufig bis zu zwölf Stunden am Tag arbeiten, und die Arbeit von Gewerkschaften wird durch Gesetze stark erschwert. LRS

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