die taz vor 12 jahren
: Ukraine verzichtet auf Atomwaffen

Seit der Auflösung der UdSSR im Dezember 1991 haben ukrainische Politiker mit ihren Positionen zum Atomwaffenstatus ihres Landes für immer größere Verwirrung gesorgt. In ihrer Unabhängigkeitserklärung hatte sich die Ukraine „atomwaffenfrei, blockfrei und neutral“ erklärt; im Juni des vergangenen Jahres verabschiedete das Parlament in Kiew dagegen eine Erklärung über die „Atommacht Ukraine“.

Atomwaffenfrei werde man erst „in Zukunft“ sein. Für die „Überführung“ der rund 1.800 Atomsprengköpfe nach Rußland wurde eine Entschädigung von drei Milliarden Dollar gefordert. Außerdem müsse das Land von den USA und Rußland Sicherheitsgarantien erhalten. Die Atomwaffen waren der einzige Trumpf des ökonomisch noch weit hinter Rußland zurückfallenden Landes. Befürchtet wurde offenbar, daß Rußland die Sprengköpfe nicht vernichten und gegenüber Kiew erst recht als Großmacht auftreten wird.

Die sich ständig verschlechternde ökonomische Situation erzwang allerdings zum Einlenken. Bereits wenige Monate zuvor hatte der Präsident in ein Tauschgeschäft einwilligen müssen: Kiew gab die ukrainische Schwarzmeerflotte an Moskau ab und bekam dafür einen Teil seiner Schulden erlassen.

Das nun vorbereitete Abkommen hilft Kiew in erster Linie bei der Lösung seiner Energieversorgungsprobleme. Das in Rußland angereicherte Uran der Sprengköpfe kann für den Betrieb der Atomkraftwerke verwendet werden. Andererseits wächst dadurch jedoch die Abhängigkeit von Moskau. Denn auch Öl und Gas erhält das Land aus Rußland.

Sabine Herre, taz vom 12. 1. 1994